Seite:Ficker Entstehung Sachsenspiegel 026.jpg

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sind, und vor allem noch solidere positive Beweise, als welche die praefatio rhythmica darbietet, für Eikes Verfasserschaft, für die ursprüngliche Beschaffenheit seiner Arbeit, die Sprache in der sie geschrieben war, und die nähere Zeit ihrer Entstehung beigebracht werden können.

Dem gegenüber dürfte doch auf’s entschiedenste davon auszugehen sein, dass gerade solche Verstösse und Aehnliches als Anhaltspunkte für die Ableitungsverhältnisse des Textes das bei solchen Untersuchungen durchaus Entscheidende sein müssen. Lässt sich z. B. erweisen, dass eine Quelle A eine Stelle in ursprünglich richtiger Fassung, B mit einer nur aus dem Texte A erklärbaren Korruption[WS 1], C mit einer nothwendig die Korruption in B voraussetzenden Emendation[WS 2] enthält, so sind dadurch so bestimmte Ableitungsverhältnisse gegeben, dass, wenn sie sich an mehreren Stellen wiederholen, die Stellung der Quellen zu einander keinem Zweifel mehr Raum lassen kann.

Nun ist mir allerdings wohl bekannt, dass beim Vorliegen von nur zwei verwandten Quellen es sehr zweifelhaft sein kann, ob in A Erweiterung, Zusatz, Korruption, oder nicht vielmehr in B Verkürzung, Lücke, Emendation vorliege; dass oft nicht zu entscheiden ist, ob wichtige Einzelnheiten der Quelle selbst oder nur den uns gerade vorliegenden Hss. angehören. In vielen Fällen ist aber doch auch hier ein Zweifel nicht mehr gerechtfertigt. Erklärt sich z. B. ein Missverständniss in einem lateinischen oder oberdeutschen B nur durch die Uebersetzung aus einem verwandten deutschen oder niederdeutschen Texte A, so ist nichts sicherer, als dass B wenigstens nicht Quelle für A sein kann. Und im gegebenen Falle dürfte gewiss zuzugeben sein, dass Homeyer an einzelnen Stellen des Ssp. und Swsp. auch ohne Zuziehung dritter Quellen Verhältnisse der Textentwicklung nachgewiesen hat, welche die Unmöglichkeit der Ableitung des Ssp. aus dem Swsp. mindestens so lange beweisen müssen, als ihre Beweiskraft im Einzelnen nicht widerlegt ist. Dieser Aufgabe entzieht sich H. v. D. einfach durch die angeführte Bemerkung.

Ungleich sicherer lassen sich nun freilich solche Beweise

führen, wenn eine Mehrzahl verwandter Quellen vorliegt; die

  1. Als Korruptele bezeichnet man in der Textkritik eine verderbte Textstelle, deren Schreibung oder Druck fehlerhaft und nicht mehr zu klären ist.
  2. Als Emendation wird in der Editionsphilologie die Korrektur von Fehlern in Texten durch einen Herausgeber bezeichnet.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1859, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Entstehung_Sachsenspiegel_026.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)