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introduzirt wurde; die 1648 für Pfalz errichtete achte Kurstimme war ausdrücklich an das Fortbestehen beider wittelsbachischer Hauptlinien geknüpft, und hörte demnach 1777 auf. Auffallend sind dagegen die beiden Abweichungen im Fürstenrathe. Im J. 1582 gab es nur einen Markgrafen von Brandenburg, erst 1603 entstanden die beiden Linien von Anspach und Baireuth; dennoch wurden für beide Stimmen geführt. Das gothaische Haus entstand erst 1640 durch Theilung, führte noch 1641 keine besondere Stimme, wohl aber seit 1664. Es sind das vereinzelte Unregelmässigkeiten; stimmt übrigens die spätere Stimmordnung durchweg mit den Unterschriften des Reichstags von 1582, wird beachtet, dass Anhalt nur 1570 bis 1686 ungetheilt war, dass die Linie von Pfalz-Lautern nur 1576 bis 1592, die von Baden-Hochberg nur 1577 bis 1591, die von Braunschweig-Kalenberg nur bis 1584 bestand, der letzte Graf von Henneberg den Schluss des Reichstages von 1582 nur um einige Monate überlebte, so bleibt kein Zweifel, dass das spätere Verhältniss der Stimmen, über dessen Entstehung die Publizisten bis zu den Untersuchungen Mosers sehr verschiedener Ansicht waren, sich nur auf die Stimmabgabe im J. 1582 gründen kann.[1]

Damit war nun allerdings für das früher nach ganz zufälligen Gesichtspunkten wechselnde Zahlenverhältniss der fürstlichen Stimmen eine feste Grundlage gewonnen; aber freilich eine Grundlage, welche lediglich eine rein zufällige auf ganz andern Anschauungen beruhende Gestaltung festhielt und weder den historischen Grundlagen noch den thatsächlichen Machtverhältnissen und einer billigen Vertheilung von Rechten und Pflichten irgendwie entsprach; mochte die frühere Stimmordnung ihre Unzukömmlichkeiten haben, so war sie doch eben als wechselnde eine billigere, da der Vortheil einer Mehrzahl von Stimmen bald dieses, bald jenes Haus traf. Darin mehr noch, als in der 1653 beginnenden Introduktion der neuen Fürsten, mag der Grund zu den später so häufig erhobenen Ansprüchen der alten Fürsten auf Vermehrung ihrer Stimmen, wozu Münster wegen Stromberg 1653 den Anstoss gab, zu suchen sein. Wenn für Länder, welche nur den einzelnen alten Fürstenthümern Pfalz, Braunschweig oder Thüringen entsprachen, vier und fünf, für das unbedeutende jüngere Fürstenthum Baden drei Stimmen geführt wurden, so ist es sehr erklärlich, wenn für die mehrere ungetheilte alte Fürstenthümer umfassenden österreichischen oder kursächsischen Lande auch mehrere Stimmen beansprucht wurden, oder wenn man baierischerseits glaubte, dass die alte Theilung in Niederbaiern und Oberbaiern gleiches Recht auf Berücksichtigung habe, oder wenn einzelne geistliche Fürsten, welche wegen der Untheilbarkeit ihrer Gebiete bei dieser ganzen Ordnung von vornherein im Nachtheile gewesen waren, für einzelne mit ihren Stiftslanden vereinigte alte Fürstenthümer Stimmen verlangten, wie etwa Mainz für Lorsch, Konstanz

  1. Vgl. für das Vorhergehende insbesondere Moser 34, 281–305.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_296.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)