Seite:Foerster Klassische Philologie der Gegenwart 13.jpg

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und kritische Ausgaben von Denkmälern, indem sie auch Zeichnungen und Gips-Abgüsse von nicht mehr vorhandenen Originalen und Nachbildungen heranzieht; für die Deutung selbst beachtet sie ebenso den künstlerischen Sprachgebrauch wie den Ideen- und Bestimmungskreis, den Typus, welchem ein Denkmal angehört, indem sie das Verhältnis zwischen dichterischem und künstlerischein Schauen unbefangener als vordem auffasst und nicht mehr mit Vorliebe in den Denkmälern Illustrationen von Dichterstellen sieht. In kunstgeschichtlicher Beziehung scheidet sie schärfer die Zeiten, die Schulen, die Landschaften, die Stile, letzteres selbst auf einem Gebiete wie die pompejanische Dekorationsmalerei es ist; andererseits aber macht sie aus dem Stil eines Werkes nicht mehr sofort einen Schluss auf seine Zeit, da sie aus der Betrachtung lokaler Kunstübungen gelernt hat, dass der Uebergang von einem Stil zum andern sich nicht an allen Orten gleichmässig vollzieht; sodann beachtet sie viel mehr die Abhängigkeit einer Kunstgattung von der andern z. B. die der Marmorskulptur von der Zeichnung, von der Malerei, von der Holzschnitzkunst, von der Bronce-Technik; sie erwägt endlich, wenn es sich um die Rekonstruktion eines verlorenen Kunstwerkes aus verschiedenartigen Nachbildungen handelt, genauer die Frage, in wie fern die Besonderheit einer jeden derselben durch ihre Kunstgattung selbst bedingt ist.

Auch die Mythologie, das Schmerzenskind der Philologie, ist zu guter Letzt zur Mündigkeit gelangt. Sie ist der Rute jener Einseitigkeit entwachsen, welche bald die griechischen und römischen Mythen als Personifikation von Naturvorgängen, wo möglich, von Einem Naturvorgange, bald alle Götter als Repräsentanten ethischer Kräfte, bald alle Mythen als Abglanz historischer Ereignisse fasste. Sie hat auch hier durch Individualisirung allen diesen Standpunkten nur eine gewisse Berechtigung zuzugestehen vermocht. Sie hat sich ferner von der alten plan- und methodelosen Mythenvergleichung losgesagt und an deren Stelle wahrhaft historische Mythenforschung gesetzt.

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Richard Foerster: Die Klassische Philologie der Gegenwart. Universitäts-Buchhandlung, Kiel 1886, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Foerster_Klassische_Philologie_der_Gegenwart_13.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)