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vermuthlich auf die Vorstellungen beziehen sollen, die ihm die Maus zuvor gethan hat.

Si nece dignetur murem leo, nonne leoni
     Dedecus et muri coeperit esse decus?
Si vincat summus minimum, sic vincere vinci est.
     Vincere posse decet, vincere crimen habet.
Si tamen hoc decus est; si laus, si vincere; laus haec
     Et decus hoc, minimo fiet ab hoste minus.
De pretio victi pendet victoria: victor
     Tantus erit, victi gloria quanta fuit.

Die epigrammatische Rede des Löwen, diese künstliche Wiederholung der Worte in Gegensätzen, ist von der edlen Einfalt weit entfernet, mit welcher der Deutsche seine Maus ungezwungen, und doch nachdrücklich, reden läßt.

Man halte ferner diese alte Fabel gegen eine, die in unserm Jahrhunderte aufgesetzet ist, und sehe, ob der alte Fabeldichter den neuern nicht unendlich beschämet?

In Riederers Fabeln Aesopi, die zu Coburg 1717 herausgekommen sind, wird die Fabel von der Maus und dem Löwen also erzählet.

     Ein Löw, müd von der Hitz und Lauffen,
Legt sich im Schatten in das Grün,
Indem er schläft, so kommt ein Hauffen,
Mäuß über seinen Rücken hin,

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Drob eine, gleich da er erwachte,

Er zwischen seine Klauen brachte.

     Die Arme bat ganz unterthänig
Um Gnad, Quartier, und um Pardon;
Sie sprach: Was solch ein großer König,

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Der wider sie zürn, hab davon,
Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_020.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)