Seite:Gellert Schriften 1 A 027.jpg

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nachlesen. Es scheint wirklich, daß Trymberg die Sprache nicht so in der Gewalt gehabt hat, als der ungenannte Fabeldichter. Die Ursache mag wohl diese seyn, daß er sich als ein Schulmann, mehr auf das Latein geleget hatte, wie er saget:

Und wiset, das ich wohl dreißig jar
Meinen Sinn hatte auf Latein so gar
Geleit, das mir die Teutschen Reimen
     *   *   *   *   *   *
So gar waren unbekannt
Als ob ich führe in frembde Land
Und wölte eine sprache lernen da

Wie glücklich sind wir in unsern Zeiten, daß wir diese Entschuldigung nicht mehr nöthig haben! Unsere größten Gelehrten halten es für eine Ehre, sowohl in der einen als in der andern Sprache zugleich schön zu schreiben, und dem Exempel des Cicero zu folgen, der bey seiner Geschicklichkeit in der griechischen Sprache auch in seiner Muttersprache vortrefflich schrieb.

Wenn nichts an unserm Trymberg zu loben wäre: so verdiente er doch wegen der edlen Freyheit, mit welcher er die Laster seiner Zeiten angreift, eine besondere Hochachtung. Er fürchtet sich vor dem geistlichen und obrigkeitlichen Stande so wenig, daß er beiden die Wahrheit ganz unerschrocken saget. Er folget hierinne dem Beyspiele des beherzten Freydanks, welchen er sehr oft mit großer Hochachtung anführet. Die Satyre hat auch viel zu enge Grenzen, wenn sie sich nur mit den Fehlern des bürgerlichen Lebens beschäfftigen soll. Die Thorheiten der Großen machen beredter, als die Narrheiten der Niedrigen. Und man wird allemal finden, daß in dem Lande, wo die meiste Freyheit herrschet, auch

Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XXVI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_027.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)