Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 628.png

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überraschendsten Fortgang hatte, hunderte von Studirenden nun die heilige Schrift eifrigst studirten, die Collegia und Dissertationes der Professoren, die ganz andere Dinge, besonders auch aristotelische Metaphysik trieben, versäumten; da ferner das gemeinsame Lesen der heiligen Schrift, namentlich seit Francke’s zweitem Aufenthalt in Leipzig, auch sichtlich auf Erweckung eines frommen Sinnes und Eifers wirkte, der nicht immer in den Schranken der Besonnenheit und Bescheidenheit sich hielt, so veranlaßte die Facultät eine Untersuchung, bei der zwar Francke und Anton keines Fehlers in Leben oder Lehre überführt wurden, in Folge deren aber doch das Collegium philobiblicum geschlossen und A. H. Francke das Recht zu theologischen Vorlesungen entzogen ward, ohne daß das Spener abzuwenden vermocht hätte. War doch seine eigene Stellung in Dresden inzwischen, durch treue Pflichtübung als Gewissensrath des Fürsten erschüttert, welche Gelegenheit nun Carpzov wahrnahm, um offener und bitterer gegen „den Pietismus“[1] (denn diesen Namen hatten die Gegner dieser Bewegung in Leipzig gegeben) zu Felde zu ziehen. Dessen Häupter verließen allmählig Chursachsen, nicht ohne daß die Folgen solcher Störung der inneren Entwickelung in Sachsen[2] lange nachgewirkt hätten.

Sie fanden in Churbrandenburg eine Freistätte. Spener wurde als Probst an die Nicolaikirche zu Berlin 1691, Schade[3] ebendahin, wo schon Lange[4] war, Francke, Breithaupt, Anton an die 1694 gegründete Universität Halle berufen. Damit gewann der Pietismus „eine staatskirchliche Anerkennung und eine theologische Repräsentation.“ Die neue Universität gelangte rasch zu großem Flor. Halle wurde der Mittelpunkt des Pietismus. Dazu trug A. H. Francke’s Waisenhaus,[5] die v. Canstein’sche Bibelanstalt, das von Halle aus begonnene Missionswesen und Francke’s planmäßige, ausgebreitete Thätigkeit für Pädagogik bei. Aber die Angriffe ruhten auch im letzten Theil der ersten Epoche nicht. Spener wurde von Schelwig, Carpzov, Alberti und der Wittenberger Facultät (deren geistloser Sprecher zweimal Deutschmann[6] war), Francke von J. F. Mayer, der durch Intriguen und Gewalt in Hamburg über Horb den Sieg äußerlich davon getragen, wegen seiner Beiträge zur Verbesserung von Luthers Bibelübersetzung, Schlag auf


  1. [von „pietas“, Frömmigkeit, als ursprünglich abwertender Begriff, ungefähr „Frömmelei“]
  2. Aehnlich in Braunschweig und Hannover.
  3. [Johann Kaspar Schade, siehe ADB-Artikel]
  4. [Joachim Lange, 1670–1744, siehe ADB-Artikel]
  5. [August Hermann Francke, 1663–1727, war Professor für Griechisch und orientalische Sprachen in Halle/Saale, Gründer der Franckeschen Stiftungen, der Dänisch-Halleschen Mission und der Cansteinschen Bibelanstalt]
  6. [Johann Deutschmann, 1625–1706]
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_628.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)