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Die erste Stufe von dem Leben des ganzen Geschlechtes ist Wildheit, ist rohe Natur: wo die Familie die einzige Gesellschaft und leicht zu befriedigender Hunger und Durst, Schutz vor dem Ungestüm des Wetters, ein Weib, und nach der Ermüdung die Ruhe, die einzigen Bedürfnisse sind, ein Zustand, in welchem der Mensch die beiden vorzüglichsten Güter, Gleichheit und Freiheit, in voller Fülle geniesst und auch ewig geniessen würde, wenn er das schon wäre, wozu sein Geschlecht erst durch lange Vorbereitung gelangen sollte. Glückliche Menschen, die noch nicht aufgeklärt genug waren, um ihre Seelenruhe zu verlieren, und die grossen unseligen Triebfedern und Ursachen unseres Elends, die Liebe zur Macht, die Begierde sich zu unterscheiden und andere zu übertreffen, den Hang zur Sinnlichkeit und die Begierde nach den vorstellenden Zeichen aller Güter, diese wahre Erbsünde aller Menschen mit ihrem mühseligen Gefolge, dem Neid, Geiz, Unmässigkeit, Krankheiten und allen Foltern der Einbildungskraft zu empfinden. Aber bald entwickelte sich in ihnen dieser unselige Keim und ihre Ruhe und ursprüngliche Glückseligkeit war dahin, als die Familien sich vermehrten, der Unterhalt zu mangeln anfing, das nomadische Leben aufhörte, das Eigentum entstand, die Menschen feste Sitze wählten und durch den Ackerbau die Familien sich einander näherten, dabei die Sprache sich entwickelte und durch das Zusammenleben die Menschen ihre Kräfte gegen einander zu messen anfingen, hier Überlegenheit, dort Schwäche sahen. Hier sah man wie der eine den andern nutzen, wie Klugheit und Stärke des einen die zusammenlebende Familie ordnen und einen ganzen Landstrich gegen die Angriffe des andern Sicherheit verschaffen konnte. Aber hier wurde auch zugleich der Grund zum Untergang der Freiheit gelegt, die Gleichheit verschwand. Man fühlte neue unbekannte Bedürfnisse, man fühlte auch, dass sie durch eigene Kraft nicht wie vorhin zu befriedigen wären. In dieser Absicht unterwarf sich der Schwache ohne Bedenken dem Stärkern und Klügern, nicht um von diesem misshandelt, sondern geschützt, geleitet, belehrt zu werden; die Fähigkeit dem andern zu nützen, war der einzige anerkannte, rechtmässige Titel zum Thron und so wie vorher Väter und Häupter der Familien die ersten, so waren nunmehr Wohlthäter die zweiten und einzigen Könige der Welt.

Nun waren also die Menschen aus ihrer ruhigen Lage in den Stand der Unterwürfigkeit versetzt. Eden, der Garten des

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Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_152.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)