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Die betreffende Szene wird folgendermassen von dem General Rapp als Augenzeuge geschildert:

»Am 13. Oktober 1809 machte sich bei einer Parade ein junger Mann, der sich immer in die Nähe des Kaisers zu drängen suchte, durch sein auffallendes Wesen verdächtig. Rapp liess ihn durch einen Gendarmerieoffizier arretieren, bei der Untersuchung fand sich ein langes, scharf geschliffenes Küchenmesser bei ihm vor. Als ihn Rapp verhörte, verweigerte er jede Auskunft, nur dem Kaiser wolle er Rede stehen. Napoleon liess ihn vor sich führen; da Staps nicht französisch sprach, musste Rapp als Dolmetscher fungieren. Der junge Mann, der Sohn eines protestantischen Geistlichen, gab ohne weiteres zu, dass er den Kaiser habe ermorden wollen. »Sie sind von Sinnen, junger Mann, Sie sind ein Illuminat,« sagte Napoleon. »Ich bin nicht von Sinnen, ich weiss nicht, was ein Illuminat ist. Ich bin nicht krank, ich bin gesund!« — war die Antwort. »Weshalb wollten Sie mich umbringen?« — »Weil Sie das Unglück meines Vaterlandes verschuldet haben!« Der Kaiser liess seinen Leibarzt Corvisart rufen, um Staps auf seinen geistigen Zustand zu untersuchen. Corvisart erklärte ihn für gesund und geistig normal. »Ich habe es Ihnen ja gesagt,« bemerkte Staps. Napoleon, erstaunt über diese Ruhe und Sicherheit, bot ihm Begnadigung an, wenn er bereuen und um Verzeihung bitten wolle. »Ich will keine Verzeihung; es tut mir nur leid, dass ein Erfolg ausblieb.« »Den Teufel auch,« rief erzürnt der Kaiser, »gilt denn in Ihren Augen ein Verbrechen nichts?« — »Sie zu töten ist kein Verbrechen, es ist Pflicht,« entgegnete Staps. »Nun, und wenn ich Sie begnadigte, würden Sie mir nicht dankbar sein?« — »Ich würde Sie trotzdem töten.« Napoleon liess Staps abführen; ein durch den Ober-Auditeur der Armee General Lauer mit ihm angestelltes Verhör ergab kein weiteres Resultat. Der Kaiser äusserte dann zu Rapp: »Es gibt wohl kein Beispiel, dass ein junger Mann in seinem Alter, ein Deutscher, ein Protestant und wohlerzogen, ein solches Verbrechen hat begehen wollen. Suchen Sie zu erfahren, wie er gestorben ist.« Staps wurde am 17. Oktober früh erschossen, er bewahrte seine gleichmässige, fast heitere Ruhe bis zu seinem Ende. Seine letzten Worte waren: »Es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland! Tod dem Tyrannen!«


Es liegt nahe, dass solche Geistesstärke Aufsehen erregte

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Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_462.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)