Seite:Glueckel 008.jpg

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Es ist ein König gewesen, der hat einen Arzt gehabt, der gar ein großer Weiser gewesen ist und gar hoch angesehen war bei dem König. Einmal hat der Arzt etwas wider den König getan; da hat der König gar sehr über ihn gezürnt und befohlen, man soll ihn züchtigen und peinigen mit Eisen, um seinen Hals und um seine Füße; man soll ihm seine guten Kleider austun und man soll ihm grobe, stachelige Kleider antun; man soll dem Arzt nichts anderes zu essen geben, als ein Stück Gerstenbrot und ein Mäßchen Wasser zu trinken. Der König hat seinen Knechten, die über das Gefängnis gesetzt sind, befohlen, daß sie sollen wohl Achtung geben, was der Arzt reden werde. Nach einigen Tagen sollen sie wieder zum König kommen und ihm sagen, was sie von dem Arzt gehört haben. So sind die Wächter zu dem König gekommen und haben gesagt: »Wir haben nichts von dem Arzt hören können, denn er hat gar nichts geredet. Allezeit haben wir wohl gespürt, daß er ein großer Weiser ist.«

Nach langer Zeit, als der Arzt noch immer im Gefängnis gesessen, hat der König nach den Verwandten von dem Arzte geschickt, sie sollten zu dem König kommen. Also sind die Verwandten des Arztes mit großer Sorge und Zittern vor den König gekommen, denn sie sind sehr besorgt gewesen für das Leben ihres Verwandten, des Arztes, und fürchteten, daß ihnen der König den Tod des Arztes möchte ankündigen.

Wie sie vor den König gekommen sind, hat der König ihnen befohlen, sie sollen zu ihrem Verwandten, dem Arzte, in das Gefängnis gehen und sollen ihn besuchen und mit ihm reden. Vielleicht werden ihre Reden ihm angenehm sein und in seine Ohren gehen. – Die Verwandten sind zu dem Arzt in das Gefängnis gegangen und haben also angefangen mit ihm zu reden: »Unser Herr und Freund, es ist uns sehr leid, daß wir sehen deinen Leib in großen Nöten im Gefängnis, und daß man den Herrn züchtigt und peinigt mit Eisen an Hals und Füßen. Anstatt, daß unser Herr pflegte allerhand gute Speisen zu essen, ist sein Essen jetzunder ein Stückchen Gerstenbrot; anstatt daß er pflegte

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_008.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)