Seite:Glueckel 044.jpg

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müssen, so will er in seinem Land ausrufen lassen, daß kein Schiff vorbeifahren soll, sondern es soll sich erst bei mir anmelden – bei Verlust seines ganzen Schiffes und Gutes. Und er tat also. Und es geschah also, daß sich alle Schiffleute bei ihm anmeldeten und speisten mit ihm. Nun war es eine Zeitlang und er konnte von seinem Weib und seinen Kindern nichts erfahren.

Es war einmal an Ostern und der Schriftgelehrte sitzt und ißt zu Mittag und war gar lustig. Da kam sein Knecht und meldet ihm einen wackeren reichen Schiffherrn, der ließ bitten, man sollt ihn nicht lang aufhalten. So sagt der Schriftgelehrte: »Heute ist Feiertag, ich darf ihn nicht fragen, was er führt. Er muß warten bis nach dem Feiertag. Er soll heraufkommen und mit mir speisen.«

Er sendet nach ihm, und da er kam, empfing er ihn und ließ ihn sitzen. Aber der Schiffer bittet, daß man ihn sollt passieren lassen. Es wollte aber nichts helfen, er mußte dableiben und mit ihm speisen. Also fragt er ihn, von wannen er ist und ob er auch Weib und Kinder habe. Da sagt ihm der Schiffmann, von wo er ist und daß er zwei Weiber hat. Die eine ist zu Hause. Mit derselbigen hat er drei Kinder, die halte ich als Hauswirtin. Die andere aber ist gar zart, taugt nicht zu der Hausarbeit, aber sie ist gar verständig. So führ ich sie allzeit mit mir, um auf das Schiff zu achten. Sie nimmt von den Leuten mein Geld ein und schreibt es auf; sie verwahrt mir all meine Sachen, und ich hab sie all die Zeit her nicht berührt. Da fragt der Schriftgelehrte: »Mein lieber Schiffer, sagt mir doch, warum ihr sie nicht berührt habt?« Da antwortet der Schiffer: »Die Frau hat früher einen Mann gehabt, welcher gar sehr verständig gewesen ist. Sie hat von ihm ein Rätsel gelernt. ,Wer das Rätsel trifft, der gleicht meinem Manne an Verstand und ich laß ihn bei mir schlafen. Wenn aber nicht, laß ich mich erschlagen, ehe daß ich ließe einen bei mir schlafen, oder brächte mich selbst ums Leben. Denn es ist nicht billig, daß der Bauernflegel auf des Königs Pferd sollt reiten.‘« So spricht der Schriftgelehrte: »Lieber Schiffer, ich bitt euch, erzählt mir, was das Rätsel ist.« So sagt der

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_044.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)