Seite:Glueckel 047.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

denn die Seele ist im Körper verborgen. Daß der Baum alle Kräfte in sich zieht und dadurch verdorrt, das ist, weil sich der Mensch an dem Seinigen nicht begnügen läßt und alles an sich ziehen will, und verliert oft das Seinige darüber. Das Unrechte frißt das Rechte. Unversehens stirbt der Mensch und läßt alles hinter sich. So fliegt der Vogel in die Luft. Das ist die Seele, die den Körper anklagt. Sie sagt: ‚Solange du gelebt hast, war alles nicht genug. Du hast nicht geruht noch geschlafen, bis ich dir hab erjagt einen Reichtum. Jetzunder verdorrest du mir und lässest alles hinter dir. Nun stirbst du, was hilft es mir oder dir? Hättest du von deinem Reichtum lieber Gutes getan, es wäre mir wohl bekommen.‘ Und nun, das ist die Lösung von dem Rätsel mit der Wahrheit. Wollt ihr mir die Wahrheit bekennen, so werd ich dich auch wieder annehmen.«

Und sie erhebt ihre Augen und sieht den Schriftgelehrten recht an, und sie erkennt, daß er ihr Mann ist. Sie springt auf, fällt ihm um den Hals und weint mit ihm eine große Weinung. Sie waren sehr erfreut und machten eine große Mahlzeit. Der Schiffmann fiel vor Schrecken auf seine Knie und bat für sein Leben. Und es sagte der Schriftgelehrte: »Weil du mein Weib nicht berührt hast, schenk ich dir dein Leben. Aber weil du genommen hast, was nicht dein ist, so nehm ich dir das Deinige wieder.« Und er nahm ihm all seinen Reichtum und ließ ihn laufen.

Und sie verblieben in ihrer Frömmigkeit in großen Freuden mit großem Reichtum.

Nun erzählten sie eines dem andern, wie es ihnen gegangen war, und sie grämten sich sehr über ihre Kinder, denn sie meinten, sie wären ertrunken.

Nun war einmal eine so große Hitze, daß man in der Nacht nicht schlafen konnte. Es waren viele Schiffe da, und es gingen all die Knechte aus den Schiffen in die Luft, um miteinander zu reden, um sich in der Nacht die Zeit zu vertreiben.

Die zwei Söhne waren auch unter ihnen und wußten nicht, daß ihr Vater und ihre Mutter auch da waren. Und

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_047.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)