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»So wie man Gott lobt für das Gute, muß man auch Gott loben für das Böse.«

Ein getreuer Diener bei einem König von Fleisch und Blut wagt Leib und Leben um seines Herrn halber. Zwar kann ihn sein Herr in dieser vergänglichen Zeit mit Reichtum und wohlhabenden Gütern belohnen, aber, wie schon gesagt, man weiß doch nicht, wie lange es währt. Aber die Belohnung von unserem Gott währt immer und ewig. So wie er ist lebendig und ewig, also ist auch seine große Barmherzigkeit.

Nun wollen wir alles Gott befehlen und wieder anfangen, wo ich geblieben bin. Meine Tochter Mate – sie ruhe in Frieden – ist nun im dritten Jahr alt gewesen; es ist kein schöneres, klügeres Kind ersehen worden. Nicht allein daß wir es sehr geliebt haben, sondern alle Menschen, die das Kind nur gesehen und gehört haben, haben ein Wohlgefallen an dem lieben Kind gehabt. Aber der liebe Gott hat es noch lieber gehabt und als es ins dritte Jahr gegangen ist, sind dem Kind urplötzlich Hände und Füße geschwollen. Obschon wir viele Aerzte gehabt haben und allerhand Arzneien gebraucht, so hat es doch dem lieben Gott also gefallen, daß, nachdem es in die vier Wochen in seiner Krankheit mit großen Beschwerden und Schmerzen hat zugebracht, Gott – er sei gelobt – es zu sich genommen hat. Er hat seinen Teil zu sich genommen und hat unseren Teil zu unserer großen Betrübnis und Herzeleid für uns liegen lassen. Worüber wir uns unbeschreiblich, sowohl mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – als ich, gegrämt haben. Ich fürchte, daß ich mich an dem höchsten Gott sehr versündigt habe und die Geschichte von Rabbi Jochanan nicht bedacht habe, die nachfolgen wird, und daß noch große Strafen vorhanden sind, wie ich meinesteils, Gott erbarme sich, wohl gewahr worden bin.

Mein Mann ist so gekränkt gewesen, daß wir alle beide lange Zeit große Krankheiten ausgestanden. Das haben wir mit unserem Gram erreicht.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_118.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)