Seite:Glueckel 161.jpg

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Erbarmen und in seiner großen Gnade wolle sich wieder über sie alle erbarmen. Darauf ist gesagt: es soll sich keiner glücklich nennen bevor er stirbt, wie eine Geschichte hiervon folgen wird.

Es ist einmal ein mächtiger König gewesen, der hat an seinem Hof bei sich allezeit einen Philosophen gehabt, der hat Solon geheißen. Der König hat von dem Philosophen gar viel gehalten, wie derselbe auch in Wahrheit ein großer Weiser gewesen ist. Einmal geht der König Krösus hin und läßt sich königliches Gewand antun und läßt seine ganze Hofhaltung in großer Pracht zu sich kommen, aufzuwarten, und alle in ihren besten Kleidern. Er läßt seine besten Edelsteine hinlegen und seine Schatzkammer öffnen. Also läßt er seinen Philosophen Solon auch rufen, daß er zum König kommen soll. Wie nun Solon zum König Krösus kommt, kniet er und beugt sich vor dem König, wie sich das gebührt. Also sagt der König zu dem Philosophen: »Mein lieber Solon, hast du auch wohl observiert all unseren Reichtum und Ehren und solch große Herrlichkeit? Und hast du wohl dein Lebtag einen glücklicheren Menschen gesehen als ich bin?«

So sagt der Philosoph zum König: »Mein gnädiger König, ich habe alles wohl observiert, aber ich kann dich doch nicht so glücklich schätzen wie ein Bürger zu Athen gewesen ist. Derselbe hat zehn Kinder gehabt, die er bei seinem Leben wohl erzogen hat, und er ist gar ein reicher Mann gewesen und hat seine Kinder alle mit Ehren zu großen Leuten gegeben. Er und seine Kinder haben dem Vaterland große Treue und Dienste getan. Also nicht allein daß sich der Bürger zu Athen hat in großer Aestimation gesehen, desgleichen hat er auch seine Kinder bis in sein hohes Alter in großer Herrlichkeit und Reichtum und Ehre gesehen, und ist also glücklich gestorben. Denselben schätze ich glücklicher als Ihre königliche Majestät. Es ist zwar nicht ohne, daß der König besitzt großen Reichtum, Herrlichkeit und Ehre, aber Ihre Majestät sind noch ein junger König. Man weiß nicht, wie sein Ende sein wird. Es kann

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)