Seite:Glueckel 177.jpg

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holen. Ich will dem Kind ein bisselchen davon in den Mund streichen. Vielleicht wird Gott – er sei gelobt – sich erbarmen und seine Hilfe geben, daß es besser wird.«

Meine Mutter ist sehr bös auf mich gewesen und hat gesagt: »Ewig hast du solche Possen in deinem Kopf. Es ist ein Wetter, als wenn Himmel und Erde zusammenfallen sollten und die Frau wird in dem Wetter gewiß nicht hingehen. Und es ist auch man eitel dummes Zeug.« Also sag ich: »Meine liebe Mutter, tut mir den Gefallen und schickt die Frau hin. Ich will ihr geben, was sie verlangt, nur daß ich die Mispeln bekomme. Mein Herz ist sonst nicht ruhig.«

Also haben wir die Frau rufen lassen und sie hingeschickt, sie sollte etliche Mispeln holen. Nun, die Frau ist hingelaufen, es ist ein weiter Weg gewesen, und ist in der Nacht ein Wetter gewesen, daß man keinen Hund sollte hinausjagen. Die Zeit ist mir gar lang gewesen, bevor die Frau wieder gekommen ist – wie es doch immer ist: wenn man ein Ding gern hätte, dann währt einem jeder Augenblick eine Stunde lang.

Endlich ist die Frau gekommen und hat die Mispeln gebracht.

Nun weiß man wohl, daß die Mispeln kein Essen für so ein Kind sind, denn sie schmecken säuerlich. Also hab ich meiner Wartfrau befohlen, sie sollt das Kind aufwickeln und sich mit dem Kind vor den Ofen setzen und soll ihm ein bisselchen von den weichen Mispeln in den Mund streichen.

Obschon mich alle wegen meiner Dummheit ausgelacht haben, so hab ich doch darauf verblieben und sie hat dasselbe tun müssen. Wie die Wartfrau dem Kind von den sauren Mispeln ins Mäulchen streicht, tut das Kind sein Mäulchen so begierig auf, als wenn es alles auf einmal hineinschlucken wollte und saugt also begierig hinab das Weiche von einer ganzen Mispel, nachdem es doch zuvor nicht sein Mäulchen auftun wollte, um einen Tropfen Milch oder sonst ein Zuckerpäppchen, wie man den Kindern macht, zu sich zu ziehen.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_177.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)