Seite:Glueckel 186.jpg

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Damals ist es eine Kälte gewesen, daß Himmel und Erde zusammenfrieren wollten. Wir sind die ganze Nacht bei ihm gewesen und haben ihm getan, was wir gekonnt haben. Aber wir haben es nicht länger aushalten können, und es ist ihm auch sehr schädlich gewesen, in der Kälte zu liegen. Endlich hat er – er ruhe in Frieden – selbst gesehen, daß es ihm nicht gut ist, und wir haben ihn heruntergebracht. Es ist schon nach Mitternacht gewesen, daß wir uns so geplagt haben, und leider als keine Besserung gewesen. Ich habe meinen betrübten Schlag wohl vor mir gesehen und daß dieses kein gut tun kann. Ich hab ihn um Gottes willen gebeten, er soll sich einen Doktor rufen lassen und Leute zu sich rufen lassen. Da hat er – er ruhe in Frieden – gesagt: »Ehe ich es Leuten entdecken wollte, lieber wollte ich sterben.« Ich bin vor ihm gestanden und hab geheult und geschrien und gesagt: »Was redet ihr da? Warum sollen es die Leute nicht wissen. Ihr habt es ja nicht von Sünd oder Schand bekommen.«

Alles Sagen hat als nicht helfen mögen, denn er – er ruhe in Frieden – hat sich eine Närrischkeit eingebildet, daß solches seinen Kindern schaden könnte, wenn man sagen sollte, daß solches erblich wäre. Denn er hat seine Kinder so gar sehr geliebt. Also haben wir uns die ganze Nacht mit ihm geplagt und allerhand Sachen aufgelegt. Es ist aber leider als zusehends ärger geworden.

Also ist es Tag geworden, da hab ich zu ihm gesagt: »Gelobt sei Gott, daß es nun Tag ist. Ich will nun nach einem Doktor und einem Bruchschneider schicken.« Er hat es nicht leiden wollen und gesagt, man soll Abraham Lopez rufen lassen. Der ist ein Sefardi, ein Balbierer und ein Doktor dabei. Also hab ich nach demselben geschickt. Wie er gekommen ist, hat er die Wunde leider gesehen, aber gesagt: »Sorgt nicht, ich will ihm was auflegen, daß es bald besser werden wird. Ich habe solche Leute viele hundert gehabt und ihnen geholfen.« Dieses ist Mittwoch früh gewesen.

Also hat er, der Abraham Lopez, ihm von seinen Sachen aufgelegt, in der Meinung, daß es ihm helfen sollte.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_186.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)