Seite:Glueckel 188.jpg

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Kopf wider die Wand gestoßen und sich Hände voll Haare aus seinem Kopf gerissen und bitter zu rufen angefangen: »Weh mir, daß ich so einen Schwager[1] verlieren soll! Und ist über sein Bett gefallen und hat ihn mit bitteren Tränen um Verzeihung gebeten.

Also hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – wirklich mit frischem Herzen geantwortet: »Mein lieber Schwager,[1] ich verzeihe euch und allen Menschen und bitte euch auch um Verzeihung.« Nachdem hat mein Schwager Reb Josef ihn beruhigt und gesagt, er sollte sich gedulden, Gott – sein Name sei gepriesen – werde seine Hilfe schicken. So hat er gesagt, er wäre alles zufrieden, was Gott – sein Name sei gepriesen – tut. Er hat sich mir gegenüber leider nicht halb über seine Krankheit ausgesprochen. Und mein Sohn Reb Löb ist ein Jüngling von ungefähr 16 Jahren gewesen, der hat alles bei ihm tun müssen. Und wenn ich herausgegangen bin, hat er den Jungen zu sich genommen und mit ihm geredet und hat ihn ernsthaft vermahnt. So hat der Junge mächtig sehr geweint. Aber sobald als mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – gemerkt hat, daß ich in die Stube gekommen bin, hat er zu meinem Sohn Reb Löb gesagt: »Schweig, um der Barmherzigkeit willen, die Mutter kommt herein, daß sie dich nicht heulen sieht.« Aber was hilft es, er ist leider in Todesnot gelegen und hat noch Sorge für meinen Kummer gehabt.

Am Sabbat morgens, nach dem Essen, ist meine Mutter zu ihm gekommen und ist über ihn gefallen, hat ihn geküßt und gedrückt, mit Tränen und gesagt: »Mein Sohn, wollt ihr uns denn so verlassen! Wollt ihr mir nichts befehlen?« So sagt er: »Meine liebe Schwieger, ihr wißt, daß ich euch wie eine Mutter geliebt habe. Ich weiß euch nichts zu befehlen. Tröstet mein Glückelchen.«

Das ist sein letztes Wort gewesen, das er mit meiner Mutter geredet hat.

  1. a b Schreibfehler für »Bruder«.
Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_188.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)