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seine Grenzen, denn er hat ein großes Herz und man findet wenige seinesgleichen.

Hierher paßt, was ich in dem Buche »Jesch nauchalin« in der Ausgabe des Gaon Rabbi Jesaias gefunden habe, welches man mir auf deutsch vorgelesen hat: Eine Bosheit hab ich gesehen unter der Sonnen, die gargroß ist auf dem Erdensohn. Wenn Gott einem große Reichtümer und Güter und Grundbesitz gegeben hat, so wird er von all dieser Güte leider nicht satt auf dieser Welt. So zwar, daß wenn der Erdensohn sterben soll, kurz vor seinem Tod und wenn er den Tod schon selber vor sich sieht, und er läßt großen Mammon andern Leuten oder seinen Kindern – dann ist ihm zu derselbigen Zeit der Mammon noch lieber als seine verschnittene Seele. Und er gedenkt ihrer nicht, daß er ihr gebe, was ihr fehlet, wie es sich gehört und was sie verlangt. Denn er verteilt von seinem Mammon nichts für Almosen, für Armenhäuser und sonst an Geschenken für Arme und Bedürftige.

Je nach dem Kamel ladet man ihm seine Last. Je nach seinem Vermögen sollen als die Wohltaten vor ihm hergehn, um ihn auf dem Wege zu bewachen und zu behüten vor den Scharen der verderbenden Geister – Gott behüte – und vor all den Heeren der Dämonen ,Grimm', ,Zorn', ,Verderben', die da in der Luft sind, vom Erdboden bis in die Ausdehnung des Himmels und die über seine Seele Gewalt bekommen, wenn sie zwischen all den unreinen Heerscharen hindurchgeht. Sie begegnen ihm und verhindern ihn auf dem Wege und quälen ihn mit aller Not und Pein – Gott behüte uns. Wenn er aber Almosen gibt, dann zieht die Gerechtigkeit vor ihm her, um ihn auf seinem Wege zu bewahren und bringt ihn ohne Pein und Schmerz an seinen Ort, der ihm bereitet ist.

Nun ist aber der größte Teil der Menschen leider, die sich das nicht zu Herzen nehmen, wenn sie sehen, daß sie von dem Leben scheiden. Müßtest du Erdensohn nicht der größte Narr sein! Wofür hättest du gearbeitet und dich alle Tage deines Lebens bemüht? Für eine Welt, die nicht dein

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_249.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)