Seite:Glueckel 307.jpg

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auch oben in der Synagoge gesessen, die hat nicht laufen können, da ist sie sitzen geblieben, »bis der Zorn vorüber war«. Ihr ist nichts geschehen und sie ist wohlbehalten nach Hause gekommen. Aber wegen dem großen Lärm, den sie gehört haben, haben sie den Schreck auf sich gehabt, daß das Gewölbe vom Bethaus auf sie fallen wird. Was das nun für ein elender Zustand war, ist nicht zu sagen oder zu schreiben. Die Weiber, welche gerettet worden sind, sind aus dem Gedränge meistens mit bloßem Kopf heruntergekommen und die Kleider vom Leibe gerissen. Eine Frau und noch deren mehr, die doch oben in der Synagoge gesessen waren, haben mir gesagt, daß sie auch herunterlaufen wollten; es ist ihnen aber unmöglich gewesen fortzukommen. Da sie nicht fortkommen konnten, sind sie wieder in die Synagoge zurückgegangen und haben gesagt: »Wenn wir schon sterben sollen, so wollen wir lieber in der Synagoge bleiben und da sterben, als daß wir auf den Treppen zerquetscht werden sollten.« Denn es sind mehr als fünfzig Frauen auf der Treppe gelegen und sind so miteinander verworren gewesen, als wenn sie übereinander gepicht wären, und Lebendige und Tote – es sei unterschieden zwischen tot und lebendig! – sind als untereinander gelegen. Die Männer sind alle zu laufen gekommen, ein jeder hat gern die Seinige retten wollen. Aber es war eine gar schwere Arbeit, daß man die Frauen, die auf der Treppe gelegen sind, voneinandergebracht hat. Das alles hat wirklich nicht länger als eine große halbe Stunde gewährt. Die Männer haben große Hilfe getan. Es sind viele Leute, Bürger von der Gasse, in die Judengasse gekommen mit Leitern und Haken, und wollten gern die Weiber von der obersten Synagoge heruntertun, denn man hat nicht gewußt, wie es oben in der Weibersynagoge bestellt ist. Die Männer im Bethaus haben den Krach auch gehört und auch gemeint, daß das Gewölbe auf sie fallen wird. Daher haben sie den Weibern zugerufen, sie sollten geschwind hinuntergehn. Daher haben sie sich auch noch mehr geeilt und sind leider eine über die andere gefallen und haben nicht fortgekonnt und sind als auf den Treppen liegen geblieben. Ihr könnt denken, was das für ein Jammer gewesen

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_307.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)