Seite:HansBrassTagebuch 1943-01-20 002.jpg

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befinden sich auf englische Einladung in Indien. – Vorgestern ist Woroschilowsk gefallen. Die Russen nähern sich Rostow immer mehr u. die Gefahr der Abschneidung unserer Kaukasus-Armee wird immer größer, weshalb unser Heeresbericht jetzt zugibt, daß sich unsere Armee „vom Feinde abgesetzt“ habe. In Afrika ist Rommel erneut zurückgegangen u. hat Tripolis kampflos den Engländern überlassen. Er zieht sich auf Tunis weiter zurück. Es ist kaum zu fassen, daß die Amerikaner es noch nicht fertig gebracht haben, eine Vereinigung Rommels mit unseren in Tunis stehenden Kräften zu verhindern, obgleich sie schon fast 3 Monate in Afrika sind. – Inzwischen geht der Kampf unserer bei Stalingrad eingeschlossenen Armee weiter. Jetzt wird von uns erstmalig überhaupt zugegeben, daß diese Armee eingeschlossen ist. An einen Entsatz ist nicht mehr zu denken u. es wäre das Klügste, wenn sich die Armee ergeben würde, denn ihr Kampf ist völlig nutzlos, – nur daß sie russische Kräfte bindet; aber um einer eingebildeten „soldatischen Ehre“ willen werden hunderttausend Menschenleben (oder mehr) geopfert. Gestern u. vorgestern wurde von uns zugegeben, daß den Russen breite u. tiefe Einbrüche in die Verteidigungslinien gelungen seien, woraus man schließen kann, daß diese grausige Tragödie nun bald ihr Ende erreicht habe. Vorgestern sprach Frau Siegert, die Frauenschaftsleiterin des Ortes, – ebenso dumm wie fanatisch, – mit Martha. Sie sagte, daß ein Sohn ihrer Schwester bei Stalingrad sei u. daß man seit dem 12. Dezember nichts mehr von ihm gehört habe. Martha wollte ihre Teilnahme ausdrücken, worauf Frau S. nur die Achsel zuckte u. mit dem gleichgültigsten Gesicht erwiderte: „Ja, das ist eben nicht anders.“ Diese Bestien haben die letzten Reste menschlichen Gefühl's längst verloren, – oder haben vielleicht nie welches gehabt. Alles geht bei ihnen in Eitelkeit, Ruhmsucht, Großmannssucht unter. Eine anerzogene sogenannte Vaterlandsliebe ist stärker als die Liebe zu den Mitgliedern der eigenen Familie. –

     Diese Frau S. schenkte Martha ein sehr schönes, altes, geschnitztes Kruzifix, ein Sterbekreuz. Sie meinte, daß sie früher einmal gläubig gewesen sei, jetzt aber kein Interesse mehr für solche Sachen habe. Sie hat früher einmal an Gott geglaubt, – jetzt glaubt sie an Adolf Hitler. Ich werde ja wohl bald erleben, an wen sie dann glauben wird. –

     Ich lese zum dritten Male den Paulus von Pascoaes. Es wäre ja denkbar, daß der Fanatismus dieses Apostels garnichts anders ist als der Fanatismus unserer Nazis; aber dann ist es doch noch einleuchtender, für einen nur eingebildeten Jesus Christus zu sterben, als für einen wirklichen Hitler. Jener ist ein hohes Ideal, dieser ein Gefreiter, der es immer noch nicht zum Unteroffizier gebracht hat. Dennoch ist dieser Mann ein unbegreifliches Wunder, das sich vor meinen Augen abspielt. Ich begreife, daß seine Kreaturen ihm folgen, – aber daß auch Generäle

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Hans Brass: TBHB 1943-01-24. , 1943, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-01-20_002.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2024)