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ihre Offensive in Nord=Norwegen starten. Die Türken dagegen verstärken offensichtlich ihre neutrale Stellung u. es macht den Eindruck, als wollten sie sich damit gegen einen Einmarsch der 9. u. 10. englischen Armee, die jetzt beschäftigungslos in Irak, Iran u. Syrien stehen, wehren. Es fragt sich bloß, wie lange sie das können, man hat ja zu oft im Laufe dieses Krieges erlebt, wie so etwas gemacht wird. –

     Essen ist wieder einmal schwer bombardiert worden. Es vergeht kaum eine Nacht, in der die Engländer nicht irgendwo Bomben werfen. Bis Ende Oktober haben wir noch rund 150 Nächte vor uns, in dieser Zeit läßt sich allerhand kaputt schmeißen.

     Von einer Firma bekamen wir 6 Dtz. Lippenstifte geliefert mit der Auflage, dieselben vorwiegend an die Arbeiterbevölkerung zu verkaufen u. sie deshalb nur Freitags u. Sonnabends auszulegen. Das sagt viel! Von einer Schmuckfirma bekamen wir eine Anfrage über unseren Kundenkreis, da sie nur noch liefern dürfe, wenn folgende Käufer in folgender Reihenfolge für den Wiederverkauf in Frage kämen: 1) Wehrmachtsangehörige u. Verwundete. – 2). „Mutter u. Kind“, so weit diese in Heimen untergebracht sind, – 3) Bombengeschädigte. Nun, – es dürfte bald keine Deutschen mehr geben, die nicht Bombengeschädigt sind. – Elektrische Glühbirnen werden nicht mehr verkauft, jede Familie darf nur eine Birne haben.

Aschermittwoch, 10. März 1943     

     Gestern erhielten wir Nachricht von Marthas Bruder Otto Wendt in Blankenese. Er schrieb nicht selbst, sondern ließ nur durch seine Sekretärin mitteilen, daß Blankenese durch den letzten Fliegerangriff schwer mitgenommen worden sei. Sein Haus sei noch glimpflich davongekommen, außer einem abgedeckten Dach, einigen Mauerrissen u. zertrümmerten Fenstern u. Türen sei nichts weiter passiert; infolge dessen habe er das Haus für Obdachlose zur Verfügung gestellt. Die Polizei habe bei ihm Quartier bezogen u. in der ersten Nacht hätten 30 Personen dort kampiert. Jetzt würde dort Essen gekocht für 80 Personen. Er selbst u. seine Frau Lita seien gesund, ebenso der Sohn Max, aber alle seien mit den Nerven sehr mitgenommen. Das läßt sich denken. Otto u. Lita sind gutmütige u. freundliche Menschen, aber auch Materialisten extremster Art, – ihr Gott ist der Bauch. Merkwürdig ist, daß ich meinen letzten Brief an Otto zu seinem Geburtstag im Februar mit den Zitat Mt. 24, 38 – 19 begann: „Gleichwie man in den Tagen vor der Sintflut aß u. trank, zur Ehe gab u. nahm bis zu dem Tag, da Noe in die Arche ging u. man nicht zur Besinnung kam, bis die Flut hereinbrach u. sie alle mit sich fortriß ...“ – Es ist das knapp vier Wochen her u. ich entschuldigte mich, daß ich einen Geburtstagsbrief mit einem so düsteren, apokalyptischen Satz begann u. bezog ihn dann auf den Krieg im Allgemeinen. Nun ist etwas davon über sie gekommen. – Aber auch das wird keine Sinnesänderung dieser Leute herbeiführen, so wenig wie die ägyptischen Plagen eine Sinnesänderung Pharaos herbeigeführt haben.

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Hans Brass: TBHB 1943-03-07. , 1943, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-03-10_001.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2024)