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opfern das ganze Volk, um ihre eigene Katastrophe noch etwas hinauszuzögern. –

     Bei dieser Sachlage haben wir auch Dr. Birkenfeld veranlaßt, noch heute Vormittag nach Bln. zurückzufahren u. sind nun sehr erleichtert, daß er fort ist. Vor allem ist es ein Segen, daß die Enkelkinder fort sind. Auch die Schwester Oberin Gertrud van Beck von den Aquinaten ist heute früh nach Bln. zurückgefahren.

     Wir sind nun voller Spannung, was geschehen wird u. erwarten, daß Berlin sein unvorstellbares Schicksal erlebt. In Italien haben die Gegner verkündet, daß der Marschall Badoglio immer noch keine Kapitulation angeboten habe u. daß sie deshalb große Fliegerangriffe auf Italienische Städte erneut führen würden. Das Volk will Frieden u. demonstiert dafür. – Die Kämpfe auf Sizilien halten an, ohne daß die Gegner anscheinend große Erfolge erzielten. An unserer Ostfront geht der Kampf ebenfalls erbittert weiter. Zwar behauptet unser Herresbericht, daß alle Angriffe abgewiesen würden, doch berichten die Russen von langsamen Fortschritten im Raume von Orel. Dort ist ihre strategische Position recht günstig u. sie hoffen wohl, uns dort doch noch eine schwere Niederlage beizubringen. Von uns wird die Verteidigung dieses sehr gefährdeten Punktes mit großer Zähigkeit geführt, doch ist bei der systematischen Zerstörung unserer Rüstungsindustrie durch die englisch=amerikanischen Luftangriffe u. bei dem ungeheuren Materialverschleiß in diesen Kämpfen der Tag errechenbar, wo unsere Kampfkraft nachlassen muß, denn auch unser Transportwesen leidet ja schon allein durch die Inanspruchnahme der Eisenbahn durch die Flüchtlinge aus den Bombengebieten schwer. Unser Widerstand im Osten kann unter diesen Umständen nicht mehr lange dauern. –

Donnerstag, 5. August 1943.     

     Sonntag Nachmittags machten Prof. Franz Triebsch u. Frau Besuch. Wir saßen auf der Terrasse in ingeregtem Gespräch, natürlich war das Hauptthema die politische Lage u. die Katastrophe von Hamburg. Frau T. ist Hamburgerin, geb. Becker. Durch die Katastrophe ist T. auch sehr berührt, da er sein Vermögen dort angelegt hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, Herrn T. einige bittere Wahrheiten zu sagen über die ehemaligen Deutschnationalen, zu denen er ja auch gehörte u. denen wir die Nazis in der Hauptsache zu verdanken haben. Uebrigens war er morgens bei uns im Hochamt gewesen u. hatte die schöne Predigt von Pfr. Feige gehört, über den er des Lobes voll war.

     Inzwischen hat sich der Ort mehr u. mehr mit Hamburgern angefüllt, lauter Menschen, die alles verloren haben u. die dieses traurige Geschick teilweise mit nur geringer Würde zu tragen wissen. Der Gott dieser Menschen war von je her ihr Bauch, ihr Lebensinhalt war Reichtum u. Wohlleben. Nun ist das über Nacht dahin u. es bleibt nichts übrig als eine leere Fassade. Jetzt schimpfen sie alle auf Hitler – aber früher haben sie ihn gewählt. – Die Stimmung ist fürchterlich. –

     Heute abend wurde bekannt, daß die Engländer Catania auf Sizilien genommen haben. Gestern noch wurde geschrieben, daß unsere Stellungen dort uneinnehmbar seien. Desgleichen wurde bekannt, daß wir Orel an der Ostfront „planmäßig“

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Hans Brass: TBHB 1943-07-31. , 1943, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-08-05_001.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2024)