über sie. Ich hoffe, daß es so bleibt. Heute Abend hat sie, um Geld zu verdienen, wieder Bereitschafts=Nachtdienst übernommen, aber ich bin etwas in Sorge, daß ihr das zu viel wird.
Die gestern veröffentlichen Vorschläge des ZK. der SED. haben in der Bevölkerung einfach sensationell gewirkt. Bei allen Geqnern, also bei der größten Mehrheit oder bei der Allgemeinheit äußerte sich das als offene Schadenfreude und Hohn, während die Bonzen u. Funktionäre –, wie man sich denken kann, denn ich kenne keine –, höchst bestürzt sind. Die zahlreichen Richter, die in letzter Zeit schwere Strafen gegen sogen. Wirtschaftssabotage verhängt haben, müssen sich jetzt plötzlich sagen lassen, daß ihre Urteile falsch waren u. daß die Strafen rundweg wieder aufgehoben werden sollen, obgleich diese Richter vorher doch auf ausdrückliche Weisung der Regierung geurteilt hatten. Alle Orts= Kreis= u. Bezirksbehörden, welche durch ihre scharfen Maßnahmen die Flucht vieler Bauern veranlaßt u. deren Güter dann konfisziert haben, müssen sich nun gefallen lassen, daß diese Bauern wieder zurückkehren, daß sie ihre Güter wieder zurückerhalten u. daß Schadenersatz geleistet werden muß für die Schädigungen am Eigentum. Wer sich Möbel, Vieh landwirtschaftl. Geräte u. Maschinen von den verlassenen Bauerngütern gestohlen hatte, muß alles wieder rausgeben, ja, diese zurückgekehrten Bauern haben sogar Anspruch auf Kredite zur Wiederinstandsetzung ihrer Betriebe. Genau so ist es mit den geflohenen Handwerkern u. a. Gewerbetreibenden, wenn sie zurückkehren. – Lehrer u. Schuldirektoren, welche Schüler wegen angeblich staatsfeindlicher, d.h. religiöser Haltung eben noch von der Schule relegiert haben, müssen diese Schüler jetzt wieder aufnehmen. Die verhetzen FDJ=Mitglieder u. Jungen Pioniere die eben noch dazu aufgehetzt wurden, ihre Pfarrer anzupöbeln u. religiöse Heime zu belästigen u. zu beschimpfen, sind jetzt plötzlich im Unrecht, obgleich sie nur getan haben, wozu sie von ihren Funktionären aufgehetzt worden sind. Dieser ganze Geschmeiß von Funktionären ist jetzt ratlos. Sie taten, was man sie geheißen hat, um sich jetzt sagen lassen zu müssen, daß schlecht war, was sie taten. Und das geht hinauf bis in die höchsten Stellen. Herr Grotewohl u. Herr Ulbricht müssen jetzt ihre eigenen Anordnungen desavouieren u. öffentlich erklären, daß es schwere Fehler waren,
Hans Brass: TBHB 1953-06-11. , 1953, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-06-12_001.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2024)
