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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s

neben ihrem Hauslehrer nieder. Bedachtsam hielt sie ihr Röckchen im Schoße zusammengefaltet, wodurch die weißen Höschen über den nackten prallen Beinchen sichtbar wurden, und ihr Blondhaar hing lose vornüber. Dem Hauslehrer, obwohl er nur flüchtig hinschaute, entging nicht, wie niedlich sie aussah. Er vergaß darüber, zu fragen, wo sie herkäme, oder zu schelten, weil sie Mademoiselles Klavierunterricht entlaufen sei; er vergaß überhaupt zu sprechen. Das Bild dieser prallen Kinderwaden mit dem Spitzensaum von Hosen darüber hielt er fest, vervielfältigte es, führte es fort, mit einem verhältnismäßig unbedeutenden Teil von 40000 Mark in der Tasche, fort in einem heißen, ratternden Wagen durch Nacht an Laternen vorbei, die in regenpoliertem Pflaster widerblitzten und dann auf Teppichen zu rhythmischer Musik, Duft und geheimnisvoller Abgeschlossenheit. Und genoß schrankenlos, gehorchte, kniete nieder, küßte Fleisch und fühlte tief erniedrigende Schläge mit Birken – –

„Herr Andex, wann gehst du fort?“

Die Antwort ließ lange auf sich warten und klang unfreundlich: „Morgen, übermorgen.“

„Ist es wahr, daß du Abenteuer machst?“ Daja sah völlig naiv aus. Diesem rührenden Blicke konnte man nicht böse sein. Der Lehrer lächelte bitter.

„Abenteuer? Wieso denn?“ Und in einer Art Schamgefühl bezwang er sich, um Dajas weiche Ärmchen jetzt nicht zu streicheln, die vorsichtig

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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)