Seite:Harz-Berg-Kalender 1919 030.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.


darinnen nur ihr Verdienst, die notwendige Frucht ihrer Mühe und Arbeit.

     Ja, Demut, – dieses Wort kannte sie nur dem Namen nach, denn Stolz und Hoffahrt waren die Giftpilze, die jedes bessere, jedes edlere Gefühl in ihr erstickten.

     Die Hoffahrt trieb sie aus dem Hause ihrer Wohltäter, sie wollte nicht dienen, sie wollte herrschen! Mit Genugtuung und Schadenfreude sah sie den Niedergang einer braven, vom Unglück verfolgten Familie, die sie hätte retten können, und sie wollte nicht, sie verstockte ihr Herz. Auge um Auge, Zahn um Zahn. – Wie? wenn jetzt der Trost ihrer Augen ihr dafür genommen würde? Wenn alle gerettet würden, nur einer nicht, — und dieser eine – wäre Christian! „Herr, vergib! Schone, verschone!“ so rief sie aus der Tiefe ihres Herzens, aus den Fluten, die über sie zusammenschlugen.

     Wie lange sie so gerufen, gezagt und gezittert hatte, sie mußte es nicht, das erste Tagesgrauen kündete den Morgen, da ertönte schallender Jubel.

     Vom Scheine der Fackeln beleuchtet, entsteigen die Geretteten dem dunklen Grabe, Nachgebilden gleichen sie und keinen wirklichen lebenden Geschöpfen. Alle hat man an das Tageslicht gefördert, nur einer fehlt noch – Christian! – Jedes Auge blickt auf die unglückliche Mutter, die mit heißen Augen, Verzweiflung in den todesbleichen Zügen, in die grausige Tiefe starrt – sie wußte, daß für ihn die Rettung zu spät kam – ihr Herz sagte es ihr – „Gott ist gerecht!“ stöhnte sie – und sank von Jammer überwältigt in Lene Hendricks Arm.

     „Mut, Frau Helmbrecht, Mut!“ ruft Johannes ihr zu, „ich hole ihn aus der Tiefe, ob tot oder lebendig, das steht in Gottes Hand; aber ich bringe ihn!“

     Und Johannes nimmt den Weg in die Tiefe, und nahe am Ausgang findet er den Freund – scheinbar leblos, denn eine tiefe Ohnmacht hält ihn umfangen. Er hebt ihn auf, befestigt das Seil um ihn – und beide werden empor gezogen zum Lichte. –

     Soll ich das Wiedersehen von Mutter und Sohn schildern, von den Freuden und Tränen des Dankes sprechen, als Herz an Herz ruhte und Aug an Aug hin? Mein armes Wort wäre allzudürftig, das Rauschen der gewaltigen Melodie, wie groß, barmherzig und gnädig der Allerbarmer ist.

     Frau Helmbrecht sind diese Leidensstunden zum Segen geworden. Ihr Wesen ist mild und freundlich, wodurch ihre schätzenswerten Eigenschaften erst den rechten Wert erhalten. An Lene Hendricks handelt sie wie eine Schwester und vergalt das Gute, was die Großeltern der Lene einst an ihr, dem armen Waisenkinde, getan, mit Gutem. – Sie hilft, schafft und ratet, bis die Familie sich wieder emporgearbeitet, ihre Liebe, ihre Sorge umleuchtet das Krankenbett des Hausvaters, er hat das Bewußtsein, daß es den Seinen nicht, wenn er geschieden, an einem treuen Herzen fehlt.

     Johannes und Christian blieben bis an ihr Ende treue Freunde. Liebe, Treue und Opfermut, dieses dreifache Band fesselte ihre Herzen zusammen. Wohl allen, die einen Freund, einen echten, treuen, wahren und frommen Freund im Leben finden, es ist ein köstlicher Schatz.




Gruß an ein Kind.


     Mir war, als ob’s ans Fenster schlug –
Ich blickte auf, doch sah ich nichts.
Nur sah ich weißer Wölkchen Zug
In einem blauen Strom des Lichts.

     Es rief zu mir: „Nun bin ich nah!“
Ich horchte hin: Wer sprach? Wer sprach?
Nur einen Buchfink sah ich da,
Der einen Zweig zum Neste brach.

     Es läutete ganz leisen Laut:
„Ist’s noch zu früh? Bin ich zu kühn?“
Schneeglöckchen hab’ ich da erschaut
Im ersten lichten Gartengrün.

     Es klang: „Die Stürme wildverworr’n
Sind stille, und der Schnee zerstob“ –
Da sah ich, wie das Winterkoru
Den Kopf aus dunklen Schollen hob.

     Und diese Zeichen, aufgereiht,
Verkünden, was das Herz geahnt:
Das Kind ist ’kommen und gedeiht
Und findet seinen Weg gebahnt.

     Sei mir gegrüßt, ersehntes Glück,
Du Kind von sonnenreinem Glanz,
Aus deinen eignen Blüten pflück’
Ich Dir, o Frühling, einen Kranz!

     Doch hüpfe nicht und spiele nicht,
Wie du uns früher wohl erschienst –
Auch Kinder stehen jetzt in Pflicht
Und üben sich im großen Dienst.

     Sei du ein junger Sämann jetzt,
Streu’ uns den Segen gut hinein;
Und wenn dein Schweiß den Kranz benetzt,
Wirst du so schön wie niemals sein!

Fritz Engel