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und laß ich von den Bäumen, von der Sonne und aller Kreatur ein Wissen bezog, von dem ich zuvor keine Ahnung hatte. Ich brauchte keinen Menschen, aber die Menschen brauchten mich....“

     Wir hielten die Geschichte des Alten für eine Phantasie. Aber dann lieferte er in der Folge manche Ergänzung, und die Überreste einer Bildung traten immer deutlicher zutage, je öfter wir ihn ernst nahmen und mit ihm von den Dingen sprachen, die einstmals seinen Stolz ausgemacht hatten. Als im kommenden Winter die Kälte besonders heftig einsetzte und andauerte, befiel den Alten ein hartnäckiger Husten, gegen den sein bester Balsam ohne Wirkung. blieb. Mein Mann drang in ihn, daß er Schritte tun möge, um irgendwo eine feste Wohnstätte zu erlangen.

     „Meinen Sie, ich sollte mir selbst untreu werden – wieder unter Menschen wohnen? Es ist nicht schwer, unter freiem Himmel zu sterben.“

     Schließlich ging ein Bericht – ohne sein Wissen – an den Großherzog von X ab. Und es kam ein umgehender Bescheid. Der Fürst entsann sich genau auf seine Rettung. Es war seine früheste Kindheitserinnerung – freilich, er hatte als seinen Lebensretter jenen Freund angesehen – dessen Tod er vor kurzem aufrichtig betrauert habe. Nun aber, wenn er alles bedenke, erschien ihm die Darstellung jenes Mannes, der sich Kräuterschorsche nenne, glaubhaft – zumal der verstorbene Freund sich immer peinlich berührt gezeigt habe, sobald die Rede auf die Umstände seiner Lebensrettung gekommen wäre. Kräuterschorsche war zuerst empört, als er von dem Schritt hörte, der zu seiner bürgerlichen Wiederherstellung ohne seine Genehmigung unternommen wurde. Dann lachte er und besah kopfschüttelnd das Geld, das für ihn als Unterstützung geschickt war und dem weiteres folgen sollte. „Ich habe Gold genug! Was soll mir das helfen! Lassen Sie mir doch meine Ruhe –“. Dann kam er eines Tages – gut angezogen – und erklärte, er möchte wohl zu seinem Landesfürsten gehen, um ihm zu sagen, wo Gold in den Bergen und Bächen zu finden sei – nur der Weg sei zu weit – er fühle, er könne nicht mehr zu Fuß dahin gelangen. Ob der Pfarrer ihm eine Fahrkarte kaufen könne, damit er hinfahre. Natürlich erklärte sich mein Mann bereit dazu. Alles wurde für einen bestimmten Tag verabredet. Er blieb aus – er ward wochenlang von keiner Menschenseele gesehen. Es wäre vergeblich gewesen, ihn zu suchen, und doch tat es mancher damals. Lichtmeß kam heran, die Frühlingsstürme machten sich auf und tobten durch das Tal hin. Da schlich ein herrenloser Hund über den Anger – Strupp war es – mager und müde. Mein Mann pfiff ihm, er kam und heulte kläglich in den Wind. Dann fanden sie ihn, die dem Hund, der voranlief, gefolgt waren. Er lag krank, fiebernd am Weg unter einem Brückenbogen. Er starb auf dem Wege nach einem Gemeindekrankenhaus. Wo sein Gold vergraben lag? Er hat es niemand erzählt.

     Längst wird der Hügel eingesunken sein, unter dem der Alte schläft – der an der Welt vorüberging, die ihm nichts gab – als einen treuen Hund. Aber sagte er nicht, die Menschen hätten ihn gebraucht? So ging er doch nicht an Glück und Leid dieser Welt vorüber, weil es keiner fertig bringt, dessen Herz von Liebe und Haß bewegt wird.




An unsere Leser und alle Harzer und Harzfreunde.


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