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nicht zu verwirklichen; wie von selber ging die Wirtschaft unter ihrer Hand. Die Dienerschaft fügte sich gern ihrem zugleich freundlichen und vornehmen Wesen, und auch wer von außen hinzutrat, fühlte, daß jetzt wieder eine dem Hausherrn ebenbürtige Frau im Innern walte. Für die schärfer blickenden Augen ihres Mannes freilich war es anders; er erkannte nur zu sehr, das sie mit den Dingen seines Hauses wie mit Fremden verkehre, woran sie keinen Teil habe, das als gewissenhafte Stellvertreterin sie nur um desto sorgsamer verwalten müsse. Es konnte den erfahrenen Mann nicht beruhigen, wenn sie sich zuweilen mit heftiger Innigkeit in seine Arme drängte, als müsse sie sich versichern, daß sie ihm, er ihr gehöre.

     Auch zu Nesi hatte ein näheres Verhältnis sich nicht gebildet. Eine innere Stimme – der Liebe und der Klugheit – gebot der jungen Frau, mit dem Kinde von seiner Mutter zu sprechen, an die es die Erinnerung so lebendig, seit die Stiefmutter ins Haus getreten war, so hartnäckig bewahrte. Aber – das war es ja! Das süße Bild, das droben in ihres Mannes Zimmer hing, – selbst ihre inneren Augen vermieden es zu sehen. Wohl hatte sie mehrmals schon den Mut gefaßt; sie hatte das Kind mit beiden Händen an sich gezogen, dann aber war sie verstummt; ihre Lippen hatten ihr den Dienst versagt und Nesi, deren dunkle Augen bei solcher herzlichen Bewegung freudig aufgeleuchtet, war traurig wieder fortgegangen. Denn seltsam, sie sehnte sich nach der Liebe dieser schönen Frau; ja, wie Kinder pflegen, sie betete sie im stillen an. Aber ihr fehlte die Anrede, die der Schlüssel jedes herzlichen Gespräches ist: das eine – so war ihr – durfte sie, das andere konnte sie nicht sagen.

     Auch dieses letztere Hemmnis fühlte Ines, und da es das am leichtesten zu beseitigende schien, so kehrten ihre Gedanken immer wieder auf diesen Punkt zurück.

     So laß sie eines Nachmittags neben ihrem Mann im Wohnzimmer und blickte in den Dampf, der leise singend aus der Teemaschine aufstieg.

     Rudolf, der eben seine Zeitung durchgelesen hatte, ergriff ihre Hand. „Du bist so still, Ines; du hast mich heute nicht ein einzigmal gestört!“

     „Ich hätte wohl etwas zu sagen“, erwiderte sie zögernd, indem sie ihre Hand aus der seinen löste.

     – „So sag’ es denn!“

     Aber sie schwieg noch eine Weile.

     „Rudolf“, sagte sie endlich, „laß dein Kind mich Mutter nennen!“

     „Und tut sie denn das nicht?“

     Sie schüttelte den Kopf und erzählte ihm, was am Tage ihrer Ankunft vorgefallen war.

     Er hörte ihr ruhig zu. „Es ist ein Ausweg,“ sagte er dann, „den hier die Kindesseele unbewußt gefunden hat. Wollen wir ihn nicht dankbar gelten lassen?“

     Die junge Frau antwortete nicht darauf, sie sagte nur: „So wird das Kind mir niemals nahe kommen.“

     Er wollte wieder ihre Hand fassen, aber sie entzog sie ihm.

     „Ines," sagte er, „verlange nur nichts, was die Natur versagt; von Nesi nicht, daß sie dein Kind, und nicht von dir, daß du ihre Mutter seist!“

     Die Tränen brachen ihr aus den Augen. „Aber ich soll doch ihre Mutter sein,“ sagte sie fast heftig.

     – „Ihre Mutter? Nein, Ines, das sollst du nicht.“

     „Was soll ich denn, Rudolf?“

     – Hätte sie die naheliegende Antwort auf diese Frage jetzt verstehen können, sie würde sie sich selbst gegeben haben. Er fühlte das und sah ihr sinnend in die Augen, als müsse er dort die helfenden Worte finden.

     „Bekenn’ es nur!“ sagte sie, sein Schweigen mißverstehend, „darauf hast du keine Antwort.“

     „O, Ines!“ rief er. „Wenn erst aus deinem eignen Blut ein Kind auf deinem Schoße liegt!“.

     Sie machte eine abwehrende Bewegung; er aber sagte: „Die Zeit wird kommen, und du wirst fühlen, wie das Entzücken, das aus deinem Auge bricht, das erste Lächeln deines Kindes weckt und wie es seine kleine Seele zu dir zieht. – Auch über Nesi haben einst zwei selige Augen so geleuchtet; dann schlang sie den kleinen Arm um einen Nacken, der sich zu ihr niederbeugte, und sagte „Mutter!“ – Zürne nicht mit ihr, daß sie es zu keiner anderen auf der Welt mehr sagen kann!“