Seite:Historische Zeitschrift Bd. 001 (1859) 121.jpg

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auf Grund der gegebenen Bedürfnisse, aus dem Mittelalter entwickelt, und die politische Speculation hat daran im Ganzen genommen einen geringen Antheil. Nur um so merkwürdiger ist es aber, wie Plato mit manchen von seinen Vorschlägen der Sache nach auf das Gleiche hinsteuert, was die neuere Zeit in anderer Weise und meist aus anderen Beweggründen in’s Leben gerufen hat. Wenn schon Sokrates im Gegensatz zur athenischen Demokratie verlangt hatte, daß nur den Sachverständigen ein Amt anvertraut und in öffentlichen Angelegenheiten eine Stimme eingeräumt werde, und wenn Plato in folgerichtiger Anwendung dieses Grundsatzes nur den Männern der Wissenschaft die Leitung der Staaten übertragen wissen wollte, so ist auch bei uns in den meisten Ländern eine wissenschaftliche Vorbereitung zum Staatsdienst vorgeschrieben, es ist die Staatsverwaltung aus der Hand des feudalen und ritterlichen Adels an die neue Aristokratie des wissenschaftlich gebildeten Beamtenstandes übergegangen. Wenn Plato einen abgesonderten Kriegerstand schaffen wollte, der sich keinem sonstigen Geschäft widme, so glauben auch sie ohne stehende Heere, und namentlich ohne einen eigenen berufsmäßig gebildeten Offizierstand nicht auskommen zu können; und der durchschlagendste Grund dafür ist heute noch der, welchen schon Plato geltend machte: daß die Kriegskunst eben auch eine Kunst sei, die Niemand gründlich verstehe, der sie nicht fachmäßig erlernt habe und als Lebensberuf treibe. Wenn Plato ferner, im Zusammenhang damit, die öffentliche Erziehung, über die bei den Griechen herkömmlichen Unterrichtsgegenstände, Musik und Gymnastik hinausgreifend, auf die mathematischen und philosophischen Fächer, mit Einem Wort, auf die gesammte Wissenschaft seiner Zeit ausdehnt, so haben die heutigen Staaten dieses Bedürfniß schon längst durch die Gründung von wissenschaftlichen Anstalten aller Art anerkannt. Unser Philosoph freilich würde sich durch die Art, wie seine Ideale unter uns verwirklicht sind, schwerlich befriedigt finden; er würde Mühe haben, in der Bevölkerung unserer Kanzleien seine philosophischen Regenten, oder in unsern Kasernen die Orte zu erkennen, in denen die Krieger, wie er will, vor allem Anhauch des Gemeinen bewahrt, zur sittlichen Schönheit und Harmonie erzogen werden sollen; er würde wohl auch auf unsern Universitäten, wenn er Manches, was da vorkommt, mitansähe, erstaunt

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_121.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)