Seite:Jugendleben und Wanderbilder II 284.png

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dunkle Seite des Mondes, wie das in sehr kalten hellen Winternächten wohl der Fall ist. Die Gegend ist flach, die Natur ganz erstorben, schwer lastet der Schnee auf der Erde, wie ein marmorner Grabstein; schwarze, große Eichen strecken die nackten Aeste zum Himmel; sie stehen da wie klagende Gespenster um das einzig übrig gebliebene Portal der zerstörten Kirche. Hoch wölbt sich noch die Pforte, ein großes Kruzifix theilt ihre Oeffnung, man sieht in weiter Ferne noch den Schein einer ewigen Lampe hindurch blinken; einige verfallene Gräber stehen umher. Ein geistermäßiger Leichenzug, von Mönchen begleitet, zieht sich über den Vorgrund zum Portal, der Sarg wird eben hineingetragen. Aus der Erde aufsteigende Nebelwolken, von der Kälte fast schon zu Reif verkörpert, verdecken alle Ferne, sie wälzen sich ganz nahe heran. Welch ein Bild des Todes ist diese Landschaft! Wie schauerlich, wie hoffnungsleer ohne den ewigen Stern der Liebe, der oben blinket!

Das Gemälde ist mit dem lobenswerthesten Fleiße vollendet, überall auf’s Treueste den Erscheinungen der nordischen Natur nachgebildet, man friert, wenn man es betrachtet, und glaubt den Schnee unter den Tritten knistern zu hören.

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_284.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)