Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 015.jpg

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Daß er diesen Weg gekommen,
Diese Fahrt er unternommen,
Um zu streiten und zu singen
Mit dem alten Wäinämöinen.
     Wollte seine Füße rühren,
Konnte seinen Fuß nicht heben,
Wollt’ den andern darauf wenden,

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Doch er war mit Stein beschuhet.

     Schon geräth jetzt Joukahainen
In gar große Angst und Sorge
Und versank in starken Jammer;
Redet Worte solcher Weise:
„O du weiser Wäinämöinen,
Einzig ew’ger Zaubersprecher,
Wende deine Zauberworte,
Nimm den Zauberspruch zurücke,
Laß mich aus dem Schreckensloche,

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Aus der unbequemen Enge,

Zolle dir gar gute Zahlung
Und gelob’ ein kräftig Lösgeld!“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Was denn wirst du mir wohl geben,
Wenn den Zauberspruch ich wende,
Und zurück den Zauber nehme,
Aus dem Schreckensloch dich lasse,
Aus der unbequemen Enge?“
     Sprach der junge Joukahainen:

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„Hab’ zu Haus’ zwei schöne Bogen,

Wohl ein Paar gar prächt’ger Bogen,
Schnell kann man den einen spannen,
Scharf zum Ziele schießt der andre;
Welcher dir gefällt, den wähle.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nicht begehr’ ich deine Bogen,
Nicht, o Narr, sind sie mir nütze,
Habe deren selber welche,
Alle Wände sind behangen,

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Jeder Nagel eingenommen,

Geh’n von selbst stets in die Waldung,
Ohne Helden zu dem Jagdwerk.“
Sang den jungen Joukahainen
In den Sumpf sofort noch tiefer.
     Sprach der junge Joukahainen:
„Hab’ zu Haus’ zwei schöne Böte,
Wohl ein Paar gar prächt’ger Böte,
Läuft das eine leicht im Meere,
Trägt das andre schwere Lasten,

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Welches dir gefällt, das wähle!“

     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nicht begehr’ ich deine Böte,
Fühl’ nach ihnen kein Verlangen,
Habe deren selber welche,
Schon besetzt sind alle Walzen,
Alle Buchten voll von Böten,
Manche ziehen mit dem Winde,
Andre gehen ihm entgegen.“
Sang den jungen Joukahainen

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In den Sumpf sofort noch tiefer.

     Sprach der junge Joukahainen:
„Hab’ zu Haus’ zwei hübsche Hengste;
Wohl ein Paar gar prächt’ger Pferde,
Läuft das eine leichten Hufes,
Zieht das andre rasch in Riemen,
Welches dir gefällt, das wähle.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nicht begehr’ ich deine Hengste,
Brauche nicht die buntgefleckten,

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Habe deren selber welche,

Stehen mir an jeder Krippe,
Stehen mir in jedem Stalle,
Wasser regt sich auf dem Rücken
Und ein Teichlein trägt das Kreuzblatt.“
Sang den jungen Joukahainen
In den Sumpf sofort noch tiefer.
     Sprach der junge Joukahainen:
„O du alter Wäinämöinen,
Wende deine Zauberworte,

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Nimm den Zauberspruch zurücke,

Geb’ dir eine Mütz’ voll Goldes,
Schenk’ dir einen Hut voll Silber,
Aus dem Kriege bracht’s mein Vater,
Holt’ es aus dem harten Kampfe.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Sehn’ mich nicht nach deinem Silber,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)