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Macht’ ein Boot mir voller Kunde,

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Zimmert’ singend meinen Nachen,

Sang da einen Tag, den zweiten,
An dem dritten Tag zerbrach ich
Meiner Lieder schönen Schlitten,
Brach die Kufen meines Sanges,
Ging um aus dem Reich Tuoni’s
Einen Bohrer mir zu holen,
Daß den Schlitten ich mir bessern,
Ihn zusammenfügen könnte;
Bring mir jetzt das Boot herüber,

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Schaffe du mir deine Fähre,

Daß ich durch den Sund hier komme,
Durch den Fluß hindurch gelange!“
     Tuonis Tochter zankte weidlich,
Mana’s Jungfrau stritt hinlänglich:
„Dummer Mensch mit deiner Thorheit,
Du, o Mann mit schwachem Sinne!
Ohne Grund und ohne Krankheit
Nach Tuoni’s Reich zu kommen;
Besser wäre es gewesen

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Nach dem eignen Land zu gehen,

Viele sind’s die hieher kommen,
Wen’ge, die nach Hause kehren.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Alte Weiber mögen weichen,
Nicht ein schlechterer der Männer,
Nicht ein schwächerer der Helden,
Bring dein Boot, Tuoni’s Tochter,
Deine Fähre, Kind Manala’s.“
     Tuoni’s Tochter bracht’ den Nachen,

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Setzt den alten Wäinämöinen

Über diese Wasserenge
Durch den Fluß zum andern Ufer,
Redet selber diese Worte:
„O du alter Wäinämöinen,
Kamst ins Reich Tuoni’s lebend,
Ungestorben nach Manala!“
     Tuonetar, die gute Wirthin,
Sie, die Alte von Manala,
Bringet Bier herbei in Krügen,

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In Gefäßen mit zwei Ohren,

Redet selber diese Worte:
„Trink, o alter Wäinämöinen!“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schaute lange auf den Bierkrug,
Frösche laichten in dem Innern,
Würmer lagen an den Seiten;
Redet Worte solcher Weise:
„Nicht bin ich hieher gekommen,
Daß Manala’s Krug ich trinken,

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Tuoni’s Becher leeren sollte,

Es ertrinken Bieres Trinker,
Kannenleerer gehn zu Grunde.“
     Sprach die Wirthin von Tuonela:
„O du alter Wäinämöinen,
Weßhalb kamst du nach Manala,
In die Stuben von Tuonela,
Ehe Tuoni dich verlangte,
Eh’ dich Mana abgerufen?“
     Sprach der alte Wäinämöinen:

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„Zimmerte an meinem Boote,

Baute an dem neuen Nachen,
Hatte nöthig drei der Worte,
Um die Enden fest zu machen,
Um den Hinterstamm zu decken;
Da ich diese nicht gefunden,
Auf der Welt nicht hab’ erlanget,
Mußt’ ich nach dem Reich Tuoni’s,
Mußt’ ich nach Manala gehen,
Um die Worte zu erlangen,

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Um die Sprüche zu erlernen.“

     Spricht die Wirthin von Tuonela,
Redet Worte solcher Weise:
„Tuoni giebt die Worte nimmer,
Nicht gewährt die Sprüche Mana,
Kannst nicht wieder fort von hinnen,
Nie im Laufe deines Lebens
Nach der lieben Heimath wandern,
Nach dem eignen Lande ziehen.“
     Senkte dann in Schlaf den Helden,

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Legt’ zur Ruh’ den Angekommnen

In dem Bette von Tuoni;
Dorten lag der Mann in Schlummer,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_086.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)