Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 130.jpg

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Mund und Bauch der Rothgeäugten,
Klugheit von der schwarzen Ente.“
     Kann auch nicht allein begreifen,
Nicht erfahren von der Mutter
Neun gar heißgeliebten Töchtern,
Ihren auserwählten Schätzen,
Wo der Esser wohl geboren,

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Wo der Nager wohl sich finde,

Fleischesesser, Knochennager,
Der das Haar dem Winde lässet,
In der Luft sie flattern lässet,
Sie dem Frühlingswinde preisgiebt.“
     „Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, nun so weine kräftig,
Wein’ die Hände voll von Thränen,
Deine Faust voll Sehnsuchtszähren,
Tropfen auf den Hof des Vaters,

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Teiche auf des Hauses Boden,

Weine, daß die Stube fließet,
Daß die Bretter überfluthen!
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
In das Haus des Vaters kommest,
Deinen alten Vater findest
In dem Rauch der Badestube,
Eine trockne Quast’ im Arme.“
     „Weine, weine, junges Mädchen,

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Weinst du, nun so weine kräftig!

Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
In das Haus der Mutter kommest,
Deine alte Mutter findest
An der Hürde ohne Athem,
Einen Strohbund in den Armen.“
     „Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, nun so weine kräftig!
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,

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Weinst du, wenn du wiederkehrest,

Du zu diesem Hause kommest,
Deinen muntern Bruder findest
Auf der Gasse umgeworfen,
Auf dem Hause umgesunken.“
     „Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, nun so weine kräftig!
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
Du zu diesem Hause kommest,

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Deine sanfte Schwester findest

Auf dem Wege hingestürzet,
In dem Arm ein alter Schlägel.“
     Reichlich seufzt’ die arme Jungfrau,
Seufzte reichlich und zog Athem,
Selber fing sie an zu weinen
Und vergießet reichlich Thränen.
     Weinte ihre Hand voll Thränen,
Voller Zähren ihre Fäuste,
Weinte naß den Hof des Vaters,

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Teiche auf des Hauses Boden,

Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
„O ihr Schwestern, meine Lieben,
Ihr Gefährten meines Lebens,
Ihr Gespielinnen der Jugend,
Höret, was ich euch nun sage!
Kann es gar nicht recht begreifen,
Wie mich jetzt zu drücken scheinet
Diese große lange Weile,

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Wie mich dieser Kummer peinigt,

Wie ich dieses Leiden tragen,
Mich der Sorge fügen solle.“
     „Anders dacht’ ich’s, anders glaubt’ ich’s,
Hofft’ es anders stets im Leben,
Wollte wie der Kuckuck gehen,
Wollte auf den Hügeln rufen,
Wenn gelangt zu diesen Tagen,
Ich zu diesem Ziel gekommen;
Gehe nun nicht wie der Kuckuck

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Auf den Hügeln munter rufen,

Bin der Wasserente ähnlich,
Wenn sie auf den weiten Wogen
In dem kalten Wasser schwimmet,
Sich im Eiseswasser schüttelt.“
     „O mein Vater, meine Mutter,
Und auch du, o greise Alte!

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)