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Hättest gestern kommen müssen
Oder an dem nächsten Tage.“
     Darauf ziehet Lemminkäinen
Schief den Mund sammt seinem Kopfe,
Warf gar schief die schwarzen Haare,
Redet selber diese Worte:
„Schon gegessen ist die Speise,
Schon beendet das Gelage,
Alles Bier ist schon vertheilet,

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Aller Meth schon zugemessen,

Alle Kannen fortgetragen,
Fortgekramt schon alle Krüge.“
     „O du Wirthin von Pohjola,
Langzahn in dem Düsterlande!
Hieltst die Hochzeit schlechter Weise,
Ludest ein nach Art der Hunde,
Backtest Bröte großer Dicke,
Brautest Bier von schöner Gerste,
Liest an sechs der Stellen laden,

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Sandt’st an neun die Hochzeitsbitter;

Batest Arme, batest Dürft’ge,
Batest Schund und allen Auswurf,
Batest lauter garst’ge Männer,
Tagelöhner engbekleidet,
Ludest sonst von allem Volke,
Mich nur ließ’st du ungebeten.“
     „Wie wohl konnt’ das mir geschehen,
Da ich selber Gerste sandte?
Andre brachten sie in Kellen,

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Ließen sie gar spärlich rinnen,

Während ich mit reichem Maaße
Eine Hälfte ausgeschüttet
Von der guten, eignen Gerste,
Von dem Korn, das ich gesäet.“
     „Nicht wird jetzo Lemminkäinen,
Gast nicht sein mit gutem Namen,
Wird kein Bier ihm zugetragen,
Aufgesetzet nicht der Grapen,
In dem Grapen keine Speise,

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Nicht ein Liespfund Schweinefleisches

Mir zur Speise, mir zum Tranke,
Mir am Schlusse meiner Reise.“
     Ilpotar, die gute Wirthin
Redet Worte solcher Weise:
„Heda, du, o kleines Mädchen,
Dienerin, die mir gehöret,
Lege Speisen in den Grapen,
Bringe Bier herbei dem Fremden!“
     Kleingestaltet war das Mädchen,

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Wäsch’rin war sie der Gefäße,

Wischerin von allen Löffeln,
Schaberin der Speisekellen,
That nun Speise in den Grapen,
Knochen nur und Fischesköpfe,
Lauter alte Rübenstengel,
Rinde nur von hartem Brote,
Brachte Bier dann in dem Kruge,
Eine Kanne schlechten Dünnbiers,
Daß es Lemminkäinen trinke,

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Daß er sich den Durst vertreibe,

Redet selber diese Worte:
„Wärest du der Männer rechter,
Dieses Bier hier auszutrinken,
Diese Kanne auszuleeren?“
     Lemminkäinen voller Frohsinn
Schaute nun in diese Kanne,
Auf dem Boden liegen Schlangen,
In der Mitte schwimmen Nattern,
An den Rändern kriechen Würmer,

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Gleiten Eidechsen beweglich.

     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Voller Ärger Kaukomieli:
„Fort nach Tuonela der Träger,
Der die Kanne mir gereichet,
Ehe noch der Mond sich hebet,
Eh’ der Tag zu Ende gehet!“
     Redet darauf diese Worte:
„O du Bier, du schlecht Getränke!
Bist zu Schanden nun geworden

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Und in schlechte Lag’ gerathen;

Doch das Bier das werd’ ich trinken
Und den Schund zur Erde werfen
Mit dem Finger ohne Namen
Und mit meinem linken Daumen.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_171.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)