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Dreiunddreißigste Rune.


     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Nahm die Wegkost in den Ranzen,
Trieb die Kühe längs des Sumpfes,
Selber sprang er auf der Heide,
Redet also bei dem Gehen,
Wiederholet solche Worte:
„O ich Ärmster aller Knaben,
O ich Knabe voller Unglück!
Wohin bin ich nun gerathen,

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Bin in Müßiggang gerathen,

Soll der Ochsen Schwänze hüten,
Soll die Kälber nun bewachen,
Soll durch lauter Sümpfe wandern
Soll auf schlechtem Boden gehen.“
     Setzt sich nieder auf den Rasen,
Setzet sich auf sonn’gem Platze,
Singend spricht er diese Worte,
Läßt im Lied sich also hören:
„Scheine, du, o Gottes Sonne,

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Leuchte, du, des Schöpfers Spindel,

Auf des Schmiedes Heerdenhüter,
Auf den armen Hirtenknaben,
Nicht auf Ilmarinen’s Stube,
Nicht vor seiner Hausfrau Augen!
Gar vortrefflich lebt die Wirthin,
Schneidet sich nur Weizenbröte,
Schöne Kuchen sich in Stücke
Und bestreichet sie mit Butter;
Trocknes Brot nur hat der Hirte,

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Trockne Rinde zum Zermalmen,

Müht sich ab am Haferbrote,
Schneidet das mit Spreu gefüllte,
Nährt sich von dem harten Strohbrot,
Schluckt voll Mühsal Fichtenrinde,
Wasser schlürft aus Birkenkörbchen,
Trinkt er von des Grases Spitzen.“
     „Gehe, Sonne, wandre, Weizen,
Schwinde, liebe Zeit des Höchsten!
Gehe, Sonne, in die Fichten,

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Weizen, wandre in’s Gebüsche,

Eile zum Wachholderhaine,
Fliege zu der Erlen Fläche,
Führ’ den Hirten du nach Hause
Zu dem butterreichen Brote,
Um das frische zu zermalmen,
Um die Kuchen auszuhöhlen!“
     „Ilmarinen’s Hausfrau hatte
Bei des Hirtenknabens Singen,
Bei dem Rufen Kullerwoinen’s

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Längst ihr Butterbrot gegessen,

Selbst das frische sich zerschnitten,
Schon den Kuchen ausgehöhlet;
Heiße Brühe sich bereitet,
Kalten Kohl nur dem Kullerwo,
Dessen Fett der Hund gefressen,
Er, der Schwarze, schon verspeiset,
Wo der Bunte sich gesättigt,
Schon die Lust gestillt der Dunkle.
     Von dem Walde sang ein Vöglein,

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Von dem Strauch ein kleiner Sänger:

„Wär’ wohl Zeit dem Knecht zu essen,
Zeit zum Mahl dem Vaterlosen.“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Blickte auf den Sonnenschatten,
Redet selber diese Worte:
„Wohl ist’s Zeit nun um zu speisen,
Zeit die Mahlzeit anzufangen,
Aufzusuchen meine Wegkost.“
     „Trieb die Kühe nun zur Ruhe,

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Trieb die Heerde auf die Heide,

Setzt sich selber auf den Rasen,
Auf das Gras mit frischem Grüne,
Nahm den Ranzen von dem Rücken,
Nahm das Brot dann aus dem Ranzen,
Wendet es nach allen Seiten,
Redet Worte solcher Weise:
„Manches Brot ist schön von außen,
Und gar glatt ist seine Rinde,
Aber innen ist nur Borke,

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Spreu nur innerhalb der Rinde.“
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_205.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)