Seite:Keller Gotthelf 116.jpg

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von ferne allerdings ein uralt längst zu Grabe gegangenes Geschlecht in den Wiesen hantiren, und manche Gestalt mag sich vor der andern fürchten, hinter einen Dornstrauch sich bergen. Ginge man den Gestalten zu Leibe, würde man ganz bekannte Gesichter sehen, deren Beine noch auf Erden wandeln, aber in den Schuhen der Väter, gehüllt in ihre Röcke, übend ihre Sitten.

Die Sache ist einfach die, daß die Bauern alte verdorbene Kleider anziehen zu diesem nassen Geschäft, um die neuen zu schonen. Die Besitzer jener alten Gewänder haben zu ihrer Zeit zu dem nämlichen Geschäfte noch ältere Kleider angezogen, als diese noch neu waren. Der Stoff, welchen heute die Bauern zu ihren Kleidern verwenden, ist noch immer selbst gesponnen und dauerhaft. Wenn man aber so einfache Geschichten fortwährend verdreht und benutzt, um Hiebe auf die Gegenwart anzubringen, so nenne ich das einen schlechten Stil führen. Auch einen unbesonnenen Stil; denn Gotthelf scheint bei dieser Anpreisung der vergangenen Zeit schon nicht mehr daran zu denken, wie er soeben erzählt hat, daß die alten Wässerbauern, die soliden Besitzer jener „uralten Hüte“, die „Väter“, einander um’s Wasser betrogen haben und daher in den Augen des Volks noch spuken müssen.

Man verzeihe mir, daß ich an diesen Kleinigkeiten so weitläufig herumklaube. Ich halte es aber von der größten Wichtigkeit, daß gerade ein Volksbuch durch und durch wahr und klar, in allem Detail ohne Verwirrung und Sophistik gehalten sei. Das Volk hat ohnehin einen Hang, alles zu mißverstehen, zu verspotten, was ihm nicht geläufig ist, sich selbst und seine Ungezogenheiten zu hätscheln, und alles nach Belieben zu verdrehen, so oder so zu deuten. Das darf nicht noch genährt werden.

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_116.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)