Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1812 II 315.jpg

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mit großen Steinen besäet und gewährt dürftige Weide für Schaafe. An ihn haben sich natürlich viele Sagen geknüpft und durch ihn erhalten. Rings um den Berg liegen sechs Dörfer, aus einem derselben ist das Märchen ganz in der Mundart mit allen ungleichen zwielichtigen Formen (denn nur die Schriftsprache hat eine einzige bestimmte, die lebende so häufig mehrere zugleich) z.B. sehde und segde, graut und grot, bede und beide, derde und dride. Teite für Vater, das alte Tatta, wird nur in diesen sechs Dörfern gesagt, sonst immer Vaer. – Der Eingang hängt noch mit folgender Sitte zusammen: wenn die Kinder, auf den verschiedenen Seiten des Bergs das Vieh hütend, sich etwas sagen wollen, ruft eins: „hela!“ oder: „helo! helo! hör mal!“ Dann antwortet das andere von drüben: „helo! helb! wat wust du?“ – „helo! helo! kumm mal to mie herover!“ – „helo! helo! ick kumme glick!“

Dieses Märchen stimmt sagenmäßig mit dem der 1001 Nacht von den zwei Schwestern, die auf ihre jüngste eifersüchtig sind (VII. 177. ff) überein; die arabische Erzählung ist nur mehr ausgedehnt, die deutsche einfacher und auch wohl schöner; beide haben ihre Eigenthümlichkeiten und beweisen ihre Selbstständigkeit damit. Aus jenem allgemein zugänglichen Buch wäre Auszug und Zusammenstellung bis ins einzelne überflüssig. Der Derwisch, welchem der Prinz erst Bart- und Augenhaar abschneidet, eh er redet (eins mit dem Gespenst in deutschen Sagen, welches stillschweigend rasirt seyn will), ist hier die hülfreiche alte Frau; sie geht fort und ist erlöst, gleichwie jener stirbt, nachdem er seine Bestimmung erfüllt hat.

Aber nicht blos als arabisches auch als altitaliänisches erscheint dieses merkwürdige Märchen bei Straparola (IV 3.); eine äußere Ableitung von dorther wendet entscheidend der Umstand ab, daß Straparola längst vor dem Uebersetzer der 1001 Nacht lebte. Manches ist bei ihm sogar besser: den Kindern fallen, wenn, sie gekämmt werden, Perlen und Edelsteine aus den Haaren, wodurch ihre Pfleg Eltern reich werden, dort im arabischen heißt es nur einmal (S. 280.): „die Thränen des Kinds sollten

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1815). Berlin 1815, Seite XVII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1812_II_315.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)