Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1840 I A 015.jpg

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und Freundschaft: das Zutrauliche der Mundart bei der innern Vollständigkeit zeigt sich hier besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Märchen als eine fast regelmäßige Vergnügung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift theils noch nicht durch Entführung des Fremden stört, oder durch Überladung abstumpft, theils, weil sie sichert, dem Gedächtnis noch nicht nachlässig zu werden gestattet, überhaupt bei Völkern, deren Literatur unbedeutend ist, pflegt sich als Ersatz die Überlieferung stärker und ungetrübter zu zeigen. So scheint auch Niedersachsen mehr als andere Gegenden behalten zu haben. Was für eine viel vollständigere und innerlich reichere Sammlung wäre im 15ten Jahrhundert, oder auch noch im 16ten zu Hans Sachsens und Fischarts Zeiten in Deutschland möglich gewesen[1].


  1. Merkwürdig ist daß bei den Galliern nicht erlaubt war die überlieferten Gesänge aufzuschreiben, während man sich der Schrift in allen übrigen Angelegenheiten bediente. Cäsar, der dies anmerkt (de B. G. VI. 4.), glaubt daß man damit [XVI] habe verhüten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus hält dem Theuth (im Phädrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedächtnisses haben würde.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1840). Göttingen: Dieterich, 1840, Seite XV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1840_I_A_015.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)