Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 292.jpg

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eines lebhaften, witzigen und scherzhaften Volks erzählt, mit beständigen Anspielungen auf Sitten und Gebräuche, selbst auf alte Geschichte und Mythologie, deren Kenntnis bei den Italienern überhaupt ziemlich verbreitet ist. Darin erscheint der Gegensatz zu dem ruhigen und einfachen Stil deutscher Märchen. Er ist überreich an bildlichen und sprichwörtlichen Redensarten und witzigen Wendungen, die ihm jeden Augenblick zur Hand sind und meist den Nagel auf den Kopf treffen; nicht selten ist auch der Ausdruck nach des Landes Art, keck, frei und unverhüllt und in so weit für unser Gefühl anstößig, wie z. B. eben jenes Märchen von der Puppe nicht gut in seiner Ausführlichkeit bei uns zu erzählen wäre, doch kann man ihn nicht eigentlich, wie den Straparola, unzüchtig nennen. Natürlich ist ihm auch ein gewisser Überfluß und das Ausströmen der Rede, wie z. B. in dem 23ten Märchen die Klage der Renza durch zwei Seiten hindurch geht, doch ist es bloß jene, den südlichen Völkern eigene Lust an dem immer neuen Ausdruck und an dem Verweilen bei dem Gegenstand, nicht aber Armuth in der Sache selbst, die sich zu bedecken sucht. Nach Liebrechts Ansicht (zu Dunlop 517. 518) hat Basile darin Rabelais nachgeahmt. Da die Überfülle an Gleichnissen meist von Scherz und Witz hervorgetrieben wird, so können die seltsamsten und lächerlichsten hier, ohne abgeschmackt zu sein, gebraucht werden; so ruft z. B. in dem 23ten Märchen der Liebhaber seiner Geliebten zu „Lebewohl, Protocoll aller Privilegien der Natur, Archiv aller Gnadenbewilligungen des Himmels, Tafel mit allen Titeln der Schönheit beschrieben.“ Einige Ausbildung erscheint in dem 38sten; das 32ste ist nicht recht märchenhaft, sondern sieht eher einem Lehrgedicht ähnlich; das 20ste ist ein Schwank, und das 26ste Inhalt und Ausführung nach das schwächste.

Eine besondere Bemerkung verdient die Ähnlichkeit, die das Märchen lo Dragone (4, 5) mit der Sage vom Siegfried hat. Die heimliche Geburt des Knaben wie der geringe Dienst bei dem Koch erinnern an Siegfrieds Kindheit. Dann sehen wir ihn von einem hilfreichen Vogel unterstützt, der an jene Vögel erinnert, deren Sprache der nordische Sigurd versteht und von welchen er Rath erhält und annimmt. Die zornige Königin trift dann mit Brünhild zusammen, und ist zugleich der zum Kampfe mit dem Drachen anreizende Reigen; der Drache ist auch hier der Bruder der Königin und ihr Leben mit dem seinigen verbunden. Sie will geradeso mit

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_292.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)