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175.


Der Mond.


Vorzeiten gab es ein Land, wo die Nacht immer dunkel und der Himmel wie ein schwarzes Tuch darüber gebreitet war, denn es gieng dort niemals der Mond auf, und kein Stern blinkte in der Finsternis. Bei Erschaffung der Welt hatte das nächtliche Licht ausgereicht. Aus diesem Land giengen einmal vier Bursche auf die Wanderschaft und gelangten in ein anderes Reich, wo Abends, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, auf einem Eichbaum eine leuchtende Kugel stand, die weit und breit ein sanftes Licht ausgoß. Man konnte dabei alles wohl sehen und unterscheiden, wenn es auch nicht so glänzend wie die Sonne war. Die Wanderer standen still und fragten einen Bauer, der mit seinem Wagen vorbei fuhr, was das für ein Licht sei. „Das ist der Mond,“ antwortete dieser, „unser Schultheiß hat ihn für drei Thaler gekauft und an den Eichbaum befestigt. Er muß täglich Öl aufgießen und ihn rein erhalten, damit er immer hell brennt. Dafür erhält er von uns wöchentlich einen Thaler.“

Als der Bauer weggefahren war, sagte der eine von ihnen „diese Lampe könnten wir brauchen, wir haben daheim einen Eichbaum, der eben so groß ist, daran können wir sie hängen. Was für eine Freude, wenn wir Nachts nicht in der Finsternis herum tappen!“ „Wißt ihr was?“ sprach der zweite, „wir wollen Wagen und Pferde holen und den Mond wegführen. Sie können sich hier einen andern kaufen.“ „Ich kann gut klettern,“ sprach der dritte, „ich will ihn schon herunter holen.“ Der vierte brachte einen Wagen mit Pferden herbei, und der dritte stieg den Baum hinauf,

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1857). Göttingen 1857, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1857_II_351.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)