Seite:Klabund Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde 022.jpg

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der Misere außen nach innen. Sein Vater hat ihn hart geschlagen: daß er oft wie ein Stein oder ein Stück Holz schien. Aber hinter der harten Schale verbarg sich ein weicher und süßer Kern. Sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“ wird immer ein Fanfarenruf aller aufrechten Männer sein. Sein Reformationswerk war eine historische Notwendigkeit. Aber die Historie wandelt sich von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Bismarcks Werk schien auf Felsen gegründet: wenige Jahrzehnte genügten, es zu unterhöhlen, bis es 1918 mit einem gewaltigen Krach zusammenstürzte. Auch über Luthers Reformation ist das letzte Wort von der Geschichte noch nicht gesprochen. Unsere heutige evangelische Kirche spricht in ihrer aufklärerischen, kahlen, gottlosen Nüchternheit nicht für eine lange Dauer. Die Zeit will wieder fromm werden. Luther war ein religiöser Mensch, die Lutheraner sind nichts als theologische Dogmatiker oder rationalistische Moralisten. Sie bezweifeln das Wunder, wollen Natur- und Kirchengeschichte unter denselben Pfaffenhut bringen: aber wer das Wunder bezweifelt, bezweifelt Gott selbst. Luther hat die damalige Christenheit, unterstützt von der humanistischen Vorrevolution des Geistes, von der römischen Knechtschaft befreit, aber er hat den Deutschen den schlechtesten Dienst erwiesen, den er ihnen erweisen konnte, als er in den Bauernkriegen Partei für die Fürsten ergriff und durch seine sophistische Auslegung der Bibel im monarchistischen Sinne („Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ... es ist euch eine Obrigkeit gesetzt von Gott, der sollt ihr untertan sein ...“) die Deutschen unter die absolute Tyrannei der Fürsten brachte, und Tyrannei und Sklaverei nun gar noch ethisch zu fundieren trachtete. Hier trieb der einst in seiner Jugend vom Vater in ihm gezüchtete und herangeprügelte Autoritätswahn häßliche Blüten. Daß der „Untertan“ den Deutschen noch heute so tief im Blute steckt, daß selbst die Revolution 1918 ihn nicht auszurotten vermochte, das ist nicht zum

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_022.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)