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verführt, der der Walpurgisnächte viele in Thüringen und im Harz erlebte, der als Minister am Hof des Kaiser-Herzogs wirkte, und der endlich als Philemon einen Greisenabend beschließen darf in der seligen Gewißheit, daß er die Ernte bis zum letzten Halm in die Scheuer gebracht. Die Idee des Faust ist die Idee des Menschen schlechthin. Aus dumpfem Dunkel steigt er empor ins Licht. Mögen Wolken es oft verschatten, mag der Wanderer auf dem steilen Wege straucheln: nur nicht müde werden, nicht nachlassen, aufwärts, vorwärts, aufwärts. Der Weg – das ist das Ziel. Der Wille – das ist der Zweck.

Wer immer strebend sich bemüht,
den können wir erlösen,

singen die Engel in der höheren Sphäre, Fausts Unsterbliches tragend. Wer je auf einer Puppenbühne, wie sie in den bayrischen Messen noch umherziehen, das alte Puppenspiel vom Doktor Faust in fast ursprünglicher Form noch gesehen hat, wird wissen, wieviel Goethe ihm stofflich und kompositorisch verdankte. Er hat den Kasperl, im Puppenspiel Diener des Faust, aus seinem Spiel eliminiert und seine Rolle Mephistopheles’ übertragen. Trotz Goethe besteht dieses Puppenspiel künstlerisch noch heute jede Kritik. Eulenspiegel (Kasperl) und Faust: den komischen und tragischen Charakter des deutschen Wesens nebeneinander zu stellen: ist ein Beweis für die naive Genialität des Puppenspieldichters, der seinerseits auf dem 1587 erschienenen Volksbuch von Doktor Faust und den Fastnachtsspielen des Mittelalters fußt. – In „Götz von Berlichingen“ (1773 erschienen) schrieb Goethe nach shakespeareschem Muster das erste Szenendrama und löste den strengen Aktbau eines Lessing in viele lebendige Einzelszenen, deren Lichter in der Schlußszene zu einer großen Flamme zusammenlohen. Der „Egmont“ (1788 erschienen) zeigt viel Verwandtschaft mit dem Götz in Szenenführung und Charakterisierung. Durch seine sittliche Kraft erhebt sich der Unterlegene (Egmont) über den tyrannischen Sieger

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_051.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)