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Geister, an welcher aber ein kritischer Geist wie Karl Kraus (geb. 1874 in Gitschin) seit Jahren schon viel tieferen Anteil hatte mit seiner „Fackel“. Sie sind zeitgeschichtlich von großer Bedeutung. Ihr dichterischer Wert ist weit geringer. Der Mensch ist nicht gut, sondern er will gut werden. Das Moment der Entwicklung ist das Entscheidende. Schon Herzeloide erzog ihren Sohn Parsival in der Waldeseinsamkeit, damit er von dem Welt- und Kriegsgetümmel bewahrt sei. Aber alle Abgeschlossenheit half nichts. Ein jeder trägt ja den Feind in der eigenen Brust. Gegen ihn heißt’s kämpfen. Man muß sich selbst aufs Haupt schlagen. Gott und du: das sollen nur Synonyme sein. Epitheta ornantia des einen. Du mußt den Heimweg finden: heim zu dir. Auf diesem Heimweg durch die Dunkelheit stehen die Dichter an den Meilensteinen wie Fackelträger. Von Fackel zu Fackel tatest du dich vorwärts: zum Morgenrot, bis Gottes Herz einst über den Bergen aufgeht. Menschen- und Gottesauge werden ineinander ertrinken, und wird nur ein Licht und eine Liebe sein.

Die Vorläufer des lyrischen Expressionismus sind Otto zur Linde (geb. 1873 in Essen) und die Charontiker[1], die sich um ihn sammelten. Er schon stellte die These von der ekstatischen Unmittelbarkeit auf, blieb aber praktisch vielfach im Assoziativen stecken. Alfred Kerr (geb. 1867 in Breslau), als Kritiker ein Dichter, als Dichter ein Kritiker, hat einer ganzen lyrischen Generation das Gehen, die ersten Schritte beigebracht. Der dämonische Naturbursche Georg Heym machte dann mit der neuen Dichtung ernst. Er krempelte sich dazu die Hemdsärmel auf: wie ein Riese schritt er über die Dächer und zwischen den Straßen Berlins, und alles dies: Mensch, Trambahn, Mond, Haus, Spuk war ihm wie Riesenspielzeug, die Stadt wurde ihm zur Landschaft, Berg und Haus war eines. Er ertrank beim Eislauf, vierundzwanzigjährig, im Müggelsee.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Charontiker, die um die literarische Zeitschrift „Charon“ versammelte Bewegung
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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_092.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)