Seite:Landstreicherleben 008.jpg

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Stück Ich, daß der Staat ihm als blödsinnige fixe Idee der anderen erscheint; und er ist keine Spur von Theoretiker. Der Staat besteht in der peinlichen Frage nach Pässen und Vorstrafen. Man wechselt die Papiere, so ist er nicht vorhanden. Vidocq ist von Feinden und Verrätern umgeben; sie benutzen den Staat gegen ihn. Es kommt also im Leben nur auf eine Aenderung der Lage an? Nun, er ändert die Lage, er ist selbst Verräter, und benutzt selbst den Staat gegen seine Feinde. Er tut das aber gewiß nicht in der Idee. Jedesmal, wenn er begrifflich redet, ist es leere Redensart und sofort ersichtlicher Schwindel. Alle Formationen der menschlichen Gesellschaft sind ihm nur Mittel, seinen Willen durchzusetzen oder den anderen auf sich zu spüren. Alles auf der Welt ist ihm nur zu einem bestimmten Zweck da. Offenbar dreht sich die Welt um den Punkt Vidocq; ein immerhin sonderbarer Mittelpunkt, der sich stets die größte Mühe gibt zu verschwinden, von dem aber doch Verbindungslinien zwischen den Leitern Frankreichs und den allerärmlichsten Verbrechern ausgehen. Manchmal erinnert er an den berühmten Leibmameluken des Ersten Napoleon, der von sich schreibt: „Bei der heutigen Festlichkeit in den Tuilerien überragte ich wieder einmal alle an Pracht: der Kaiser sah gegen mich geradezu schäbig aus.“ Aber auch hier denkt Vidocq von der Gegenseite aus, vom Standpunkt der allerletzten, allergequältesten Entrechteten. In dem ganzen Buch findet man nicht einen einzigen Satz der Behaglichkeit. Man findet auch nie ein Wort von Ruhe oder von Träumen. Vidocq hat sich sein Leben lang auf Landstraßen, in Wäldern, am Meer umhergetrieben. Aber für diesen Mann existiert die „Natur“ nicht an sich. Die Natur ist ihm nur eine Kulisse, die die anderen, Reicheren, Mächtigeren, vor ihn schieben, um ihm den Weg zu sperren. Wie jeder Abenteurer (und wenn man hier nur an Casanova denkt) kann er nie auf die Idee kommen, sich an die Natur hinzugeben. Man gibt sich keinem fremden Willen hin, man kämpft mit ihm, umschleicht ihn, macht

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_008.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)