Seite:Landstreicherleben 095.jpg

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Ich befragte den Gefängniswärter; er blieb stumm. Ich schrieb an Francine; man teilte mir mit, daß die Briefe, die ich an sie adressierte, in der Kanzlei zurückgehalten würden. Man teilte mir auch zur selben Zeit mit, daß sie nicht zu mir ins Gefängnis gelassen würde. Ich saß auf glühenden Kohlen. Endlich kam ich auf den Gedanken, einen Advokaten zu nehmen. Dieser sah die Prozeßakten ein und teilte mir dann mit, ich sei angeklagt wegen Mordversuches an Francine … An demselben Tage, an dem ich sie verlassen hatte, war sie halbtot, von fünf Messerstichen durchbohrt, in ihrem Blut schwimmend gefunden worden. Ich war ganz schnell weggegangen, ich hatte meine Kleidungsstücke fortgeholt und sie an einen anderen Ort gebracht; alles, so schloß man, um den gerichtlichen Nachforschungen zu entgehen. Das Aufbrechen des Fensterladens, die Spuren, die der Größe meiner Füße entsprachen, alles dies stellte mich als schuldig hin. Und dazu sprach noch meine Verkleidung gegen mich. Man war überzeugt, ich sei nur deshalb verkleidet hingekommen, um mich zu versichern, daß sie gestorben sei, ohne mich zu verraten. Noch ein Umstand, der bei jeder anderen Gelegenheit zu meinen Gunsten ausgelegt worden wäre, verstärkte hier den Verdacht, der sich gegen mich erhob. Sobald nämlich die Ärzte Francine zu sprechen erlaubt hatten, erklärte sie, sie habe sich selbst gestochen, aus Verzweiflung darüber, daß Sie von einem Mann, dem sie alles geopfert habe, verlassen worden sei. Aber ihre Liebe zu mir machte ihre Aussage verdächtig; und man war überzeugt, daß sie diese Sprache nur führe, um mich zu retten.

Seit einer Viertelstunde schon schwieg mein Advokat. Aber ich hörte noch immer nach ihm hin, wie ein Mensch, der von einem fürchterlichen Alpdruck träumt. Ich überlegte schon bei mir, ob ich mich nicht am Gitter meiner Zelle aufhängen sollte mit einem Strick aus Stroh … aber endlich faßte ich mich so weit, daß ich mich auf alle Umstände zur Rechtfertigung besinnen konnte.

Der Dienstmann, den ich mir zur Wegschaffung meiner Sachen

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_095.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)