Seite:Landstreicherleben 126.jpg

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Aus einer Nische in einer Ecke des Hofes kommt ein Hund zum Vorschein. Wir bleiben unbeweglich, verhalten den Atem, denn der Moment ist entscheidend. Das Tier gähnt, reckt sich, als wenn es seinen Platz ändern wollte, und scheint in seine Nische zurückzukehren. Wir hielten uns schon für gerettet. Aber plötzlich dreht er den Kopf nach der Seite, wo wir zusammengedrängt stehen, und sieht uns mit Augen an, die zwei glühenden Kohlen gleichen. Auf ein dumpfes Knurren folgt ein lautes Gebell, von dem das Haus nur so dröhnt. Desfosseux wollte zuerst versuchen, dem Kläffer den Hals umzudrehen, aber das verfluchte Biest war von einer Größe, die den Erfolg dieses Kampfes sehr zweifelhaft machte. Es schien uns das klügste zu sein, uns in einer offenen Baracke zusammenzukauern, die als Speiseraum der Irrsinnigen diente. Aber der Hund setzte sein Konzert fort, bald stimmten andere Hunde mit ein, und es entstand ein solcher Heidenlärm, daß der Saalinspektor Giroux merkte, es müsse etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein. Da er seine Leute kannte, sah er zuerst nach dem Fort-Mahon; er wollte beinahe umfallen, als er hier niemanden fand. Auf sein Geschrei lief alles herbei: der Pförtner, die Schließer, die Wache. Bald hatte man den Weg entdeckt, den wir genommen hatten. Man bediente sich dieses Weges, um in den Hof des Irrenhauses zu gelangen, und hier lief der Hund, von seiner Kette losgemacht, sofort auf uns zu. Die Wache überfiel den Raum, in dem wir uns befanden, mit gekreuztem Bajonett, also ob es gälte, eine Schanze zu erstürmen. Man legte uns Handschellen an – das galt stets als Vorspiel zu wichtigen Begebenheiten in unserem Gefängnis. Dann wurden wir nicht mehr auf Fort-Mahon zurückgeführt, sondern in den Kerker geworfen. Aber man mißhandelte uns nicht.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_126.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)