Seite:Leo Kriegserinnerungen 63.jpg

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im Biwak die Kleider nicht ausziehn und trocknen. Diese drei Märsche waren nicht lang, aber furchtbar beschwerlich. Am ersten oder zweiten Abend war in der Nähe des Biwaks ein Bauernhaus, in das eine Anzahl von uns hineinschlüpfte, um im Kamin ein ordentliches Feuer zu machen. An dem kochten wir unsern Kaffee, d. h. einen Kochkessel voll Wasser mit einem Dutzend halber Kaffeebohnen, die nass wie sie waren nicht ordentlich zerkleinert werden konnten. Diesen Trank schlürfend sassen wir am Kaminfeuer, ich ganz vorne herangerückt. Auf einmal fühlte ich einen Schmerz an meinem rechten Schienbein. Was war es? Das Wasser in meinem Stiefel wollte auch zu kochen anfangen; der hohe Schaft des rechten war schon ganz von der Hitze zusammengeschrumpft, so dass ich ihn nicht ausziehen konnte und mit einem Taschenmesser vorn ein grosses Stück des Leders herausschneiden musste. Von da an ging ich einige Wochen lang mit dieser Ruine eines Schaftstiefels durch Dreck und Feuer.

Ueberhaupt bekamen unsere Kleidungsstücke in diesen Tagen den Rest. Ich musste jeden Abend mein eines Hosenbein von unten bis oben zusammennähen, damit es den nächsten Tag über notdürftig hielte. Viele von uns trugen eine französische Bauernhose, die sie hatten ergattern können. An der Strasse lagen in Menge vollgepackte Tornister, die die Franzosen weggeworfen hatten; rote Hosen konnte man natürlich nicht tragen, aber über die Stiefel freute man sich zuerst, bis sich zeigte, dass sie pappene Sohlen hatten. So schlecht war

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_63.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)