Seite:Lucians Werke 0274.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
XXVI. Menippus und Chiron.

1. Menippus. Ich habe mir sagen lassen, Chiron, du hättest, wiewohl du ein Gott bist, dennoch zu sterben verlangt.

Chiron. Man hat dir die Wahrheit gesagt, Menippus; ich hätte unsterblich seyn können: doch zog ich den Tod vor, wie du siehst.

Menippus. Was wandelte dich für eine Liebe zum Tode an, der doch für die Meisten so wenig Liebenswürdiges hat?

Chiron. Dir, als einem verständigen Manne, will ich es sagen. Es machte mir keine Freude mehr, unsterblich zu seyn.

Menippus. Wie? Es war dir entleidet, das Sonnenlicht zu sehen?

Chiron. Ja, Menippus. Was mich freuen soll, das darf nicht immer das Nämliche seyn, es muß Abwechselung haben. Aber, immer zu leben, immer dieselben Genüsse, dieselbe Nahrung zu haben, dieselbe Sonne zu sehen, den immer wiederkehrenden Wechsel der Jahreszeiten, und immer dieselbe, sich wieder erneuernde, Reihenfolge aller Erscheinungen zu beobachten, wie es bei mir der Fall war – glaube mir, dieser Dinge wird man herzlich satt. Denn nicht immer eben und dasselbe zu haben, sondern die Veränderung ist angenehm.

Menippus. Du hast zwar Recht, Chiron: aber wie kannst du dich in die Unterwelt schicken, seitdem du aus eigener Wahl hieher gekommen bist?

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. Stuttgart: J. B. Metzler, 1827–1832, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0274.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)