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eben dieses Gesanges wegen. So darfst du es also nicht auffallend finden, wenn auch ich, da dem Lobredner Vergleichungen unentbehrlich sind, eines erhabenen Gegenbildes mich bediente, welches die Natur der Sache selbst mir an die Hand geben mußte.“

20. „Da du aber auch von Schmeichelei gesprochen, so finde ich zwar den Widerwillen gegen die Schmeichler, welchen du äußertest, eben so gerecht als löblich: nur möchte ich dich auf den wesentlichen Unterschied zwischen dem Verfahren eines Lobredners und den Uebertreibungen eines Schmeichlers aufmerksam machen. Der Schmeichler, dem es nur um seinen Vortheil, um die Wahrheit hingegen sehr wenig zu thun ist, meint im Loben keine Gränzen beobachten zu müßen: er lügt von dem Seinigen hinzu, so viel er will, und bedenkt sich keinen Augenblick, einen Thersites für schöner als Achilles auszugeben und zu behaupten, Nestor wäre unter allen Helden vor Troja der jüngste gewesen. Ja, wenn er sich einen Vortheil von seiner Lüge verspricht, so schwört er, der taube Sohn des Krösus hätte besser gehört als Melampus, und der blinde Phineus bessere Augen als Lynceus gehabt. Der bloße Lobredner aber ist weit entfernt, seinem Gegenstande Vorzüge anzudichten, die Dieser gar nicht besitzt: er hält sich bloß an dessen wirkliche Vorzüge – gesetzt auch, daß sie nicht eben ungemein wären – und sucht sie zu erhöhn und zu vergrößern. So wird er sich z. B. erlauben, von einem Pferde, als von einem schnellen flüchtigen Thiere, zu sagen:

Rennend über die Fluren daher zerknickt es den Halm nicht.[1]


  1. Iliade XX, 227.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 982. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0982.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)