Seite:Lucians Werke 1104.jpg

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sie die Mörderin, und Wer einen Tempel beraubt, thut es nur, weil sie es will. Wollte also Minos nach Recht und Gerechtigkeit verfahren, so müßte er die Schicksalsgöttin statt eines Sisyphus, die Parze statt eines Tantalus bestrafen. Denn was haben Diese verbrochen, die lediglich höherer Nöthigung folgten?

19. Jupiter. Du verdienst gar keine Antwort mehr auf solche Fragen: du bist ein frecher, disputirsüchtiger Sophist, dem ich den Rücken kehre.

Cyniscus. O Schade! gar zu gerne hätte ich dich noch gefragt, wo denn eigentlich die Parzen ihren Sitz haben, und wie es möglich ist, daß sie zu dreien mit der Besorgung einer so unendlichen Menge von Dingen bis auf die kleinste Einzelnheit hinaus, fertig werden? Ich kann mir nicht anders denken, als daß diese vielbeschäftigten Göttinnen ein sehr mühseliges und von dem Verhängniß selbst nicht auf’s Beste bedachtes Leben führen, ein Leben, das wenigstens ich, wenn ich die Wahl hätte, keineswegs mit dem meinigen vertauschen möchte. Im Gegentheile, ich wollte mir lieber ein noch armseligeres Daseyn, denn mein gegenwärtiges, gefallen lassen, als immer und ewig dasitzen, und auf Alles und Jedes achtend, eine mit so vielen Dingen beladene Spindel drehen. Uebrigens, Jupiter, wenn es dir beschwerlich ist, diese Frage zu beantworten, so lasse ich mir gerne auch an deinen bisherigen Antworten genügen: sie reichen vollkommen hin, die Lehre von dem Verhängniß und der Vorsehung in ihr rechtes Licht zu stellen. Das Weitere zu erfahren, bin ich einmal nicht prädestinirt, denke ich.

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1104.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)