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die, wie schön sie auch gewesen seyn mögen, doch nur wie leere, wesenlose Schatten dich umgaukelten?

6. Micyll. Nein, mein liebes Hähnchen, den Traum kann ich nun einmal nicht vergessen. Er hat mir im Entfliehen einen so reichlichen Honig auf meinen Augliedern zurückgelassen, daß sie, wenn sie sich kaum geöffnet haben, sogleich wieder zum süßen Schlafe sich zusammenziehen. Und was ich gesehen habe, verursachte mir einen so angenehmen Kitzel in den Augen, wie wenn man sich mit einer Feder in den Ohren kraut.

Der Hahn. Herkules! Du bist ja ordentlich verliebt in deinen Traum: was muß aber auch das für ein Traum seyn, der, statt in seinen natürlichen Grenzen, in denen des Schlafes, sich zu halten, so lebhaft und in so reizenden Bildern auch die offenen Augen noch dir umflattert? Erzähle mir doch den dreimal willkommenen.

Micyll. Recht gerne: es ist mir der größte Genuß, von ihm zu sprechen, und ihn in der Erinnerung von neuem zu träumen. Aber wann wirst du mir die Geschichte deiner Verwandlungen geben, mein Pythagoras?

Der Hahn. Wann du erst deines verführerischen Traumes dich entschlagen, und den Honig von deinen Augliedern abgewischt haben wirst. Sprich also immer zuerst, damit ich erfahre, ob dein Traum durch die elfenbeinene oder hörnene Pforte angeflogen kam.[1]

Micyll. Durch keine von Beiden, Pythagoras.

Der Hahn. Wie? Homer nennt doch nur diese Beiden.


  1. Odyss. XIX, 560. ff. und (nach Homer) Virgil VI, 894.
Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1152.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)