Seite:Märchen (Montzheimer) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Der Krämer sprach kein Wort. Seine Augen dagegen beobachteten verstohlen die Königin; es war, als wolle er in ihren Zügen lesen.

Goldwina blickte starr auf die Haarlocke, dann, wie aus tiefem Sinnen erwachend, strich sie mit der Hand über ihre Stirn und seufzte:

„Diese Locke wunderbar
Mahnt mich an ein teures Haupt,
Das das Schicksal mir geraubt. –
Sag’, wer gab dir dieses Haar?“

„Ihr sollt es erfahren, edle Königin. Doch zuvor betrachtet auch noch dieses.“

Mit diesen Worten zog der Krämer unter seinem Mantel einen Ring hervor, den er ebenfalls Goldwina reichte.

Sein Blick hing jetzt mit solcher Spannung an dem Antlitz der Königin, als wolle er die geheimsten Regungen ihrer Seele ergründen.

Schneebleich ward die edle Frau und griff nach dem Herzen. Sie wehrte der ängstlich herzuspringenden Elligod, als diese der vermeintlich Ohnmächtigen Hilfe leisten wollte. Dann fragte sie mit bebender Stimme:

„Dieser Ring, o Krämer, sprich,
Sag’, wer hat ihn dir gegeben?
Dieser Ring, er mahnet mich,
Ach, an ein mir teures Leben!“

Die Erregung der Königin schien sich auch auf den Krämer zu übertragen, denn auch seine Stimme bebte, als er jetzt antwortete:

„Erlaubt mir, edle Königin, Euch eine Geschichte zu erzählen: Ein König zog in das gelobte Land, um als Kreuzritter edle Taten zu vollbringen. Dort war es ihm vergönnt, einige Sarazenen zu überwältigen, die ein schönes, aber stummes

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_023.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)